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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Magier und sein Medium, den Kleinen mit den Punkten im Gesicht, herein, und ich erkannte trotz ihrer täuschenden orientalischen Verkleidung sogleich die abgehärmten Gestalten wieder, die mir vor zwei Tagen in Begleitung Arrats auf der Treppe begegnet waren.
    Ich erwartete, dass wir uns, ganz wie in Schillers
Geisterseher
, in den andern Raum begeben müssten, damit die Betrügerden Salon gehörig manipulieren und uns dann rufen würden. Doch nichts dergleichen geschah. Wir wurden von Arrat persönlich auf unser besonderes Ehrenwort verpflichtet, ein ewiges Stillschweigen über das zu beobachten, was wir zu sehen und zu hören bekämen. Ich muss es nun brechen, man wird es mir nachsehen ... Die Türen des Salons wurden abgeschlossen. Distel hatte an allen Zugängen zur Dampmartin’schen Wohnung Posten aufgestellt.
    Es war schon weit nach elf, und eine tiefe Stille herrschte im ganzen Hause. Die Kerzen des großen Leuchters waren allesamt, als sei es so berechnet, bis auf Daumenbreite heruntergebrannt. Einige Standleuchter warteten frisch bestückt auf ihren Einsatz, und sechs große Sturmlaternen waren auf die Spitzen eines Hexagramms aus weißen Bändern aufs Parkett gestellt. Ein Tier kratzte auf dem Oberboden, es polterte ein Laden, wie es in alten Häusern in der Nacht zumeist geschieht. Mein Herz klopfte schneller als gewöhnlich, und ich schalt mich etwas dafür.
    Gut, nach dem Konzert wieder etwas auf den Beinen zu sein. Ich trat beherzt zu dem Kreis um den König.
    »Haben Majestät schon einmal an einer Zitation teilgenommen?«, fragte Heim scheinheilig. Er wusste es doch erklärtermaßen besser. Der König lächelte über das willkommene Stichwort und antwortete mit weicher Stimme:
    »Durchaus, lieber Doktor! Die Geister zeigen sich mir in regelmäßiger Folge. Besonders der Geist meines armen Alexanders ist es, der mir für gewöhnlich erscheint.«
    Er sah die Rietz, Mutter seines früh verstorbenen Lieblingssohnes, zärtlich an, die eine verklärte, nonnenhafte Miene aufgesetzt hatte. Man erzählte sich, das Anderle sei vergiftet worden.
    Der Magier war hinzugetreten und hatte sich vor dem König verneigt. Er trug am bloßen Hals ein honiggelbesAmulett – einen chaldäischen Skarabäus an einer Kette von Menschenhaaren, wie er auf Nachfrage erklärte. Dann sagte er mit einer tiefen, dunklen Stimme:
    »So wie gerade jung verstorbene Knaben leicht zum Mittler zwischen den Welten werden, so verfügen die Lebenden über die Gabe, die Seelen der Toten aus dem schwarzen Spiegel zu ziehen.«
    »Er meint, aus dem See der Abgeschiedenheit!«, setzte Beatrice de Grève erklärend für alle Unbedarften hinzu. Sie war mit dieser Materie sichtlich vertraut und kannte den Magier und den Kleinen mit den Sonnenflecken offenbar bereits näher.
    »Auch der Marquis de Betmar und der Graf von St. Germain«, fuhr sie fort, »arbeiteten mit Aureolen oder Gloriolen. So nannten sie die erweckten Kinder, die ihnen die Geister an den Händen herbeiführten.«
    Ich sah den Magier und seine Gloriole vor mir, wie sie auf den Jahrmärkten ihre Beschwörungen in einer zerlegbaren, bunt bemalten Bretterbude abhielten. Der Alte war gut geschminkt, das verdiente anerkannt zu werden. Das schmale Gesicht des Knaben trug die herbe Spur der Blattern, was gut zu seiner Rolle passte.
    »Er beherrscht das Deutsche nicht«, sagte der Alte. »Worte der Geister repetiert er in der jeweiligen Landessprache, ohne auch nur eine Silbe zu verstehen. Sein Organ muss für Ihre Ohren schwer verständlich klingen.«
    Er sagte etwas zu dem Jungen in einem fremdartigen, vielleicht erfundenen, abgehackten Idiom, das wie das Maßregeln eines unfolgsamen Tieres klang, worauf der Kleine lachte und einen Laut ausstieß, der Wohlgefallen zu signalisieren schien. Er begab sich in den Stuhlkreis. Dampmartin, Arrat und der Diener Karl waren mit dem Aufbau einer Art Altar beschäftigt.
    »Haben Majestät nicht Angst davor, betrogen zu werden und den Einflüsterungen banaler Geister zu lauschen?«, konnte ich nicht umhin den König zu fragen.
    Polizeichef Distel neigte seinen Kopf flüsternd zu dem Wöllners, der seinen Kopf flüsternd dem der Rietz näherte, die ihrem gewichtigen Liebhaber daraufhin lächelnd etwas einflüsterte. Der König sagte:
    »Marquise, ich freue mich sehr, dass Sie und Ihr Gatte Zeugen dieser kleinen Demonstration der Geisterkunde sein werden! Als Aeronauten vertreten Sie heute Nacht sozusagen die Wissenschaft – die ich nicht minder

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