Der rote Salon
einkehrte. Daraufhin warf er eine Handvoll Olibanumharzin die Feuerschale. Ein dicker Schwall von Weihrauch vernebelte die Sicht.
»Ich bitte die Anwesenden, nur über Monsieur Dampmartin oder mich zu den Erscheinungen zu sprechen und auf keinen Fall direkt das Wort an sie zu richten!«, sagte er.
Der alte Karl schloss die Blenden der Laternen bis auf kleine Schlitze. Die Strahlen waren vom Kreis der Sitzenden weggerichtet. Der Diener verharrte kurz und scheinbar verwirrt an einer Stelle. Es war genau bei dem Parkettstreifen über der Aussparung. Der Magier murmelte ein
Silentium
und fragte den König mit schmelzender Stimme, wen er rufen solle.
»Meinen kleinen Alexander!«, antwortete der Herr über alle Preußen.
Die Lichter des Kronleuchters, welche bislang über uns ein warmes, weltenfernes Licht geworfen hatten, flackerten – die Kerzen waren heruntergebrannt, und die Blicke versammelten sich in der Höhe. Flammenreste kämpften gegen die Schwärze an, bevor sie mit dem Signal aufsteigenden Rauchs kapitulierten. Die schmalen, gegen die Wände rundum gerichteten Lichtstreifen aus den Blendlaternen erhellten notdürftig den Raum. Inzwischen aber hatten sich die Augen an die reduzierten Lichtverhältnisse gewöhnt. Nach etwa zwei Minuten, der Weihrauch löste sich auf, erhob sich schauerlich langsam eine Gestalt neben dem Altar!
Die Kronprinzessin schrie schrill auf, die Rietz fasste den Arm den Königs fester. Der Knabe, die sogenannte Gloriole! Die ganze Zeit über hatte dieser Helfer, in blauen Atlas gehüllt, vor der Feuerschale und dem Totenkopf gelegen, als sei er eine zweite, leere Altarbank. Ein kleiner Schauer lief auch mir über den Rücken ...
Der Magier nahm den Deckel von dem kleinen dickwandigen Topf und warf ein Pulver auf die glühenden Kohlen,das – nach dem Effekt zu urteilen – wohl Kaliumpermanganat war: Es zischte, prasselte, roch streng, und ein Funkenregen sprühte bis vor unsere Füße. Beschwörend schärfte uns der Magier noch einmal ein, dass nur Dampmartin und er Fragen an die Erscheinung richten dürften. Das Gesicht gegen Morgen gerichtet, stellte er sich sodann auf den Teppich, sprengte Weihwasser nach allen vier Weltgegenden und neigte sich dreimal gegen das Zauberbuch. Er strickte einige unverständliche Formeln in die Luft, in dem von mir als Hirtensprache gebrandmarkten Idiom, fasste den Jungen bei den Händen und murmelte einige weitere Formeln auf Latein. Nur eine behielt ich:
»
Sator arepo tenet opera rotas
...«
Jetzt hieß er uns einander die Hände reichen und eine tiefe Stille beobachten. Ich schauderte bei dem Gedanken, die Hand des Polizeichefs anfassen zu müssen. Mit einem Seitenblick konnte ich im Düsteren sehen, dass Distel genauso empfand. Dennoch verfolgte ich, nicht minder gebannt als die anderen, wie die Gloriole nun in heftige Zuckungen verfiel.
Der Magier rief den verstorbenen Alexander mit Namen, klopfte dabei mit einem Hämmerchen gegen die volltönende Feuerschale und verdrehte das metallene Kruzifix auf dem Totenschädel – – –
Ein Streich wie vom Blitze machte, dass unsere Hände auseinanderflogen. Ein plötzlicher Donnerschlag erschütterte das Haus, und über unseren Häuptern dröhnte ein Poltern, so grausig, dass mir die Haare zu Berge standen. Schwere Schritte liefen über den Boden des zweiten Stockwerks, sodass man im ersten meinte, die Decke käme herunter. Der Kristalllüster klirrte, und der Alte schrie mit brüchiger Theaterstimme:
»Der Kreis der Hände ist geöffnet! Der Geist, kurz davor,vom Elysium herabzusteigen, entfloh wieder! Lasst es uns noch einmal versuchen, und lasst die Hände diesmal nicht los! Fürchterliches könnte sonst geschehen!«
Der Junge begann wieder zu zittern. Drei Rufe, drei Signalschläge – diesmal drehte der Magier das Kruzifix am Schädel nur kurz, daher gelang es uns, die schweißfeuchten Hände unserer Sitznachbarn trotz des heftigen Stoßes, den wir verspürten, festzuhalten. Schwere Tritte ertönten erneut über uns. Der Junge wurde starr und veränderte auf eine unheimliche Weise seine Gestalt. Er stand aufrecht und hielt den Kopf etwas gesenkt.
»Wer ruft mich?«, sagte er mit hohler, kaum hörbarer Stimme, die allen das Blut erstarren ließ (auch mir, ich muss es eingestehen).
»Deine Eltern«, entgegnete der Magier, »die dein Andenken ehren und für deine Seele beten!«
»Alexander! Bist du es? Mein Anderle!«, rief der König und unterbrach kurz den Kreis.
Die Gloriole
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