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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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bebte, vom Kachelofen fielen lose Platten herab, und aus dem Rachen des Kamins prasselten Backsteine. Die Blicke aller richteten sich auf das blaue Leuchten. War die hohe Stunde der Mitternacht schon angebrochen?
    »Das ist Karl, der Diener!«, rief ich aus. »Umgeben von einem Halo. Was sind das für Flammen? Brennt er?«
    »Er ist es, und er ist es nicht!«, sagte Jérôme.
    Der Diener tat ein paar wankende Schritte, sein Gesicht war das einer Leiche. Um ihn ein Mantel aus hellem, jetzt dunklerem Blau. Seine Augen, zuvor dunkel, wurden weiß. Die Augäpfel drehten sich nach hinten. Er zitterte, torkelte, fasste sich an den Hals und stammelte mit Grabesstimme:
    »Urgroßvater, lass mich los! Lass mich los, du Quälgeist. Nicht schon wieder, nicht hier ...«
    Er stürzte, rollte wie im Todeskampf, hockte wie ein Götze im Schneidersitz. Das Licht umgab ihn. Aus seinem Mund floss ein weißlicher Schleim, ein Schaum, es fuhren Fäden wie Tentakel eines Kraken heraus. Der Schock, der alle darob erfasste, war unbeschreiblich, doch erst vollkommen,als das blaue Licht sich aufrichtete: eine bläuliche Flamme von der Größe eines Kindes oder doch eines sehr kleinen Menschen! Dann kamen noch drei, vier, fünf, sechs kleinere! Sie fuhren wild durch die Luft, liefen über die Wände, schossen durch die entsetzte, gebannte Gesellschaft.
    »Alkmene! Melpomene! Werdet ihr wohl manierlich sein! Treibt’s nicht zu toll! Thalia! Ihr Rackers!«
    Die Stimme ging uns allen durch Mark und Bein. Die größere Flamme setzte sich nun auch in Bewegung, man hörte ein Schnupfen und das Klacken eines Krückstocks auf dem Parkett. Ein fürchterlicher Donner fuhr uns in die Ohren, dass es schmerzte. Der Spiritus in der Flammenschale fing ohne Zutun wieder Feuer, die längst erloschen geglaubten Kohlen glühten so hell auf, dass der Kork darunter zu schmoren begann. Die Flammen des Laternenunglücks waren gelöscht, der Schwefelgestank, der den Salon nun erfüllte, schien von ganz woanders zu kommen.
    Alle waren aufgesprungen und wichen langsam zurück. Die größere blaue Flamme oder Gestalt fuhr langsam auf uns zu. Die kleinen sprangen durch den Raum. Man hörte ein hallendes Bellen.
    Neben dem Kachelofen standen nun Majestät und Mätresse, standen Prinzen und Prinzessin, standen alle Übrigen dicht gedrängt. Nur Jérôme und ich waren abseits geblieben. Da änderte das blaue Flammenwesen seine Richtung und hielt auf uns zu.
    Nun, ich sehe schon die Stirnen sich runzeln und die unduldsamen Blicke der Leser, die meinen Worten jeden weiteren Kredit an Glauben verweigern. Auch werden sie ob meiner Furcht den viel zitierten Shakespeare zu Hilfe rufen, was – nebenbei bemerkt – auch eine schöne, überall aufder Welt geübte Geisterzitation zu nennen wäre:
Schwachheit, dein Name ist Weib!
Doch den Mann will ich sehen, der nicht wenigstens
Weiche, Satanas!
riefe, wenn sich unmittelbar vor seinem schreckgeweiteten Auge ein solches Gesicht manifestierte wie damals vor meinem!
    Die Erscheinung war ein beweglicher Lichterflor, es sah aus wie ein leuchtendes bleumorantes Gewebe, dessen Fasern sich bewegten – kleine feurige Schlangen von der Farbe des blauen Inneren einer Kerzenflamme. Sie umspielten und umzüngelten einander unablässig, bis sie auf einmal das Gesicht eines alten Mannes formten. Oh, ich erkannte es wieder, dieses Gesicht, denn es musste jedem, der es einmal gesehen hatte, unvergesslich bleiben ... Es war nur eine bange Minute, in der die Gestalt mir nahe war, und sie schenkte mir nur einen einzigen langen Blick. Aber ihre eisblauen Augen raubten mir fast die Sinne, und ich hörte leise die Worte:
    »Sie seindt vom rechten Schrot und Korn, Madame! Ganz vom Langustier’schen Schlag; das dünkt mich bei Sie im Blute zu liegen! Ein hübscher Turban übrigens ...«
    Ich weiß nicht, ob ich es nur dachte oder wirklich zu der Flamme vor mir gewispert habe:
    »Ich bin noch nicht am Ziel – etwas fehlt!«
    Jérôme bestreitet, es gehört zu haben. Auch an die Entgegnung kann er sich nicht erinnern. Ich schon, hier ist sie:
    »Es betrübt mir sehr, Madame, dass mich verboten ist, wie allen Toten, Ihnen anders als in Rätseln zu antworten. Bluttaten müssen recte gesühnet werden! Daher dürfen wir Geister den Lebenden, mit denen wir es gut meinen, Fingerzeige geben.« Hier machte er eine theatralische Pause, wohl um mir Gelegenheit zu geben, seine Hinweise sicher aufzufassen: »Die, die warten, seindt meist nicht die, die handeln. Wo

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