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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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einmal nichts ist, kann später etwas sein, dasgilt für Verstecke wie für Vorsätze. Schlechtes Gewissen ist unser Schlupfloch, und der Schatz ist da, wo die Musik spielt ...«
    Ich verstand kein Wort und muss wohl den Tränen nahe gewesen sein, denn die hohle Sphärenstimme, wie durch hundert Siebe gesprochen, klang begütigend:
    »Madame, so seindt Sie
sans souci!
Der Erfolg und der Triumph über die üblen Kujons möge Sie genug Lohn sein.« Ich war gelähmt und wiederholte mir krampfhaft, was der Geist gesagt hatte. Er lächelte, machte einmal scherzhaft: »Buh!« und entschwebte, ein
Au revoir!
, ein
Au plaisir
und ein
Votre serviteur!
wiederholend. Die blauen Bällchen umspielten mich bellend, eins versuchte nach mir zu schnappen, und ich spürte einen kalten Anhauch an der Hand. »Persephone! Nausikaa! Mnemosyne! Bei Fuß! Ach ihr Süßen, ihr Rackers ...«
    Später war die Mehrzahl der Beteiligten – ausgenommen Jérôme und Heim – der Auffassung, es sei dies alles meiner überreizten Imagination anzulasten, obschon sie das Donnern, die Stimme und die Halos doch zweifelsohne ebenfalls wahrgenommen haben mussten! Den Sermon des alten blauen Königs wollten sie für eine bauchrednerische Leistung des Knaben oder des Vaters halten, auch wenn diese ängstlich abstritten, mit dergleichen Spuk zu schaffen zu haben (und auch beileibe nicht Geist genug dazu gehabt hätten). Leuchtende Figuren, grelle Lichter und Ausströmungen wurden so kategorisch in Abrede gestellt und für Sinnestrübungen erklärt, dass jeder, dem ich später meine Beobachtungen schilderte, mich für ein hysterisches, wahnsinniges Geschöpf hielt. Ich habe es daher aufgegeben, auf etwas anderem als der subjektiven Wahrhaftigkeit meiner Erinnerungen zu bestehen. Deshalb bleibte es dem Urteil meiner Leser überlassen, sich an meinem Bericht alseiner Arabeske zu ergötzen oder sie für bare Münze zu nehmen.
    Die allgemeine Meinung der Beteiligten ging dahin, dass ein Wirbel der Täuschung uns erfasste, weil die Luft so vom Weihrauch, von den schwefligen Brandgasen des entflammten Bodenholzes oder dem brennenden Wunsche nach dem Außergewöhnlichen geschwängert gewesen sei und auch die Schwingungen der Erde wie eine Zerrüttung und Zerrlinse für unsere Wahrnehmung gewirkt hätten ... Eine seismische Erschütterung auf dem Schwarzen Berge der Kanarischen Inseln hat es tatsächlich in jener Stunde gegeben, und man hat sie, wie auch die berühmten Beben von Neu Madrid vor acht Jahren, an der Berliner Sternwarte registriert, aber ich will dennoch meine Beobachtungen keineswegs so billig auf schwankenden Grund gestellt wissen.
    Ich weiß, was ich gesehen habe!
    Dem furchtsam starren Blick des Königs habe ich entnommen, dass er wohl wusste, wer ihm im Folgenden mit nur einem einzigen Wort so trefflich die Leviten las ... Der alte erste Diener des Staates, der so oft
Dämonen
kammer statt
Domänen
kammer gesagt und sich über die Geisterfurcht der
Gespensterliese
von Kronprinzessin lustig gemacht hatte, sprach im letzten Akt seiner dämonischen Anwesenheit blechern, aber laut und deutlich durch die Lippen des am Boden liegenden alten Dieners. Auf Lungen und Mägen lastete der Alpdruck, als er sich uns wie folgt mitteilte:
    »Bis zum letzten Atemzug haben meine Wünsche dem Glück des Staates gegolten. Ich habe gehofft, er möge stets mit Gerechtigkeit, Weisheit und Stärke regiert werden! Ich habe gehofft, er möge der glücklichste, in seinen Finanzen der bestverwaltete und durch ein Heer, das nur nach Ehre und edlem Waffenruhm trachtet, der am tapfersten verteidigtesein! Ich habe gehofft, er möge blühen bis ans Ende der Zeiten!«
    Ein grässliches Heulen und Knistern lag in der Luft. Darauf schwoll der bläuliche Schein an und dehnte sich und quoll auf, bis er den ganzen Raum ausfüllte. Mit einem Fauchen zog er sich wieder zusammen und schob sich vor den amtierenden König. Schmeichelnd umfloss er die voluminöse Gestalt wie ein Cape aus Tüll, verharrte dann stocksteif. Die kleinen Blauen sausten unterdessen durch die Harfe, die an die Wand gerückt stand, dass es klang wie das Klirren von dünnen, unter Spannung zersplitternden Eisplatten. Sodann jagten sie einander in einem immer schnelleren Kreise um den Kronleuchter. Die blecherne Stimme sagte:
    »Ob Sie, mein lieber Herr Neveu, Ihre persönlichen Interessen wohl jemals dem Wohle des Vaterlandes und dem Vorteil des Staates zu opfern verstehen werden?«
    Zwei Köpfe wuchsen der blauen

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