Der rote Salon
Erscheinung und bogen sich an langen Hälsen, bis je ein Geistermund vor je einem Ohr des Königs Halt machte. Sie sah damit aus wie eine dickbauchige Henkelvase. Die Lippenpaare an den obersten Henkelenden bewegten sich, und wir hörten:
»Armleuchter!«
Hamlets Vater war dagegen eine Schwatzbase. Vom vielarmigen, dreistöckigen Lüster erscholl ein mehrstimmiges Geistergebell, wie Kinderlachen.
Die beiden grauenhaften Kopfhörner verschmolzen flugs mit dem Rest der Lichtgestalt, die als blauer Rauchring in die Höhe fuhr. Der Kronleuchter, in dem sich das Licht fing, loderte auf wie ein brennender Dornbusch. Tausend Elmsfeuer funkelten im kristallenen Geäst. Ein grauenhaftes Lachen war zu hören, und das Haus erbebte erneut, diesmal so heftig, dass sich der Parkettfußboden an mehrerenStellen hob, wodurch eine kleine Ausbuchtung entstand, die Harfe bedrohlich schwankte und ein Buch aus dem Regal fiel. Dann war alles Licht entschwunden. Es herrschte Totenstille.
11
Nach einigen Sekunden absoluten Schweigens und völliger Reglosigkeit hörten wir Schreie und Böller von draußen. Einige im Raum husteten, die Starre löste sich. Alles war vernebelt. Mein Nacken war so verspannt, dass es wehtat, als ich mich wieder rührte. Auch anderen ging es so, man reckte und streckte sich ächzend.
Jérôme, Prinz Louis Ferdinand, de Paul und Bonneheure zogen die schweren Fensterbehänge zur Seite und ließen kalte, frische Luft herein.
Draußen stand die Menge vergnügt beim heißen Punsch im Garten. Das bunte Feuerwerk brannte eben ab, und so wünschten wir einander schreckensstarr ein gutes neues Jahr, so falsch das nach dem eben Erlebten auch klingen mochte.
Die Normalität des Wunsches erfrischte. Auch das sehr irdische Röcheln des Dieners Karl neben dem Kamin diente der allgemeinen Ernüchterung. Karl konnte sich an nichts erinnern. Heim untersuchte ihn. Keine Blessuren. Vom weißen Schleim, den wir gesehen hatten, fand sich keine Spur mehr. Auf die Frage des Arztes kam heraus, dass sein Geisterahn ihn schon manches Mal würgend und um die Besinnung bringend heimgesucht hatte.
»Klarer Fall von Fallsucht«, konstatierte Heim.
Der Kronprinz hielt die Hand der Kronprinzessin. Beatrice de Grève und de Paul waren bei der Harfe und schoben die etwas herausgesprungene Lade wieder hinein, dochsie klemmte. Sie suchten das Instrument gemeinsam umzudrehen, was nicht eher gelang, bis Göttler ihnen zu Hilfe eilte. Er zog die Brauen hoch, als er die aufgesprungene Lade sah.
Der König lag in den Armen der Rietz. Der Polizeichef klopfte, und man öffnete die Haupttür des Salons. Auf dem Treppenabsatz stand eine bullige Gestalt in Polizeigewahrsam: der Polterer, der über uns herumgelaufen war! Polizisten und Lakaien kamen herein, die auf Geheiß mehrere große Standkandelaber im Raum verteilten und auch am Kronleuchter neue Lichter aufsteckten.
Der Magier und sein Sohn wurden abgeführt, nachdem man das Hilfsmittel des Betrugs entdeckt und hinausgeschafft hatte: eine elektrische Bastion aus mehreren Leydener Bouteillen unter dem Podest mit dem Schädel und dem Kruzifix als Drehschalter. Die Leitung führte zu Dampmartins Sitzplatz. Einen Metallfaden hatte er in jeder Hand gehalten, selbst durch dünne Lederhandschuhe vor der Elektrizität geschützt.
Arrat und Dampmartin waren klammheimlich zur Tür geschlichen und wollten eben hinausschlüpfen, da sich niemand um sie zu kümmern schien, als Distel plötzlich neben ihnen stand und süffisant bemerkte:
»Halt, halt, meine Herren!«
Arrats Gesicht wurde zur Fratze. Er suchte Distel derb ins Gesicht zu schlagen, doch der duckte sich und schlug seinerseits den Angreifenden zu Boden, der daraufhin schmerzgekrümmt auf dem Parkett lag. Einige Polizeioffiziere traten in den Raum und leisteten Distel Beistand.
»Es lebe die Republik! Vive la revolution!«, schrie Dampmartin und warf mit einem trotzigem Schwung des Kopfes sein schwarzes Haar nach hinten.
Er machte einen verzweifelten Versuch, sich durch die Türzu drängen, doch es war vergeblich. Nach kurzem, heftigem Gemenge landeten seine Hände in Fesseln. Auch Arrat wurden jetzt Handschlingen angelegt, und der Polizeichef verkündete in strengem Amtston:
»Niemand verlässt den Salon!«
»Hört, hört!«, brauste Wöllner auf. »Wie komme ich zu der Ehre, Ihren polizeilichen Verdacht zu erregen?«
Bischoffwerder und die Hoheiten schienen sich das Gleiche zu fragen und ließen ihre Blicke zwischen dem obersten
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