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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Polizisten der Stadt und seinem obersten Vorgesetzten, dem König, hin- und herwandern. Distel stellte mit geschäftigem Ton richtig:
    »Die ehrenwerten Mitglieder dieses erlesenen Zirkels stehen selbstredend außerhalb jedwelchen Verdachtes. Indessen hat eine der anwesenden Damen nicht nur äußerst genau und zielsicher den schmählichen Betrug vorausgesagt, dessen Zeuge wir wurden – von allen beiherspielenden Geistesüberreizungen und nebulösen Irritationen einmal abgesehen, die ich nur der üblen Ausdünstung im Raume zuschreiben kann –, sondern auch eine weitaus schwerwiegendere Behauptung geäußert, deren Erörterung an Ort und Stelle mir mehr als dringlich erscheint. Eine Behauptung, so möchte ich hinzufügen, die unter Umständen eine Enthauptung nach sich zieht. Von daher ist Ihre Gegenwart nicht ganz unpassend, Herr Justizminister!«
    »Starkes Stück – mögen hören!«, sagte der Kronprinz.
    »Warum die Eile?«, fragte Bischoffwerder.
    »Weil sich möglicherweise ein dreifacher Mörder in unserem Kreis befindet, in dem ich Sie nichtsdestotrotz nun bitten muss, wieder Platz zu nehmen!«, forderte Distel die verwirrt herumstehende Gesellschaft auf. Arrat und Dampmartin setzte man hinzu. Dem alten Diener Groth, oder Karl, wenn man will, wurde einsam ein weiterer Stuhl angewiesen.Jeder schaute jeden an, mit einer beispiellosen Mischung aus Furcht, Gleichgültigkeit, Entsetzen, Todesverachtung und abgründigem Misstrauen.
    »Gnade Gott uns armen Sündern!«, sagte Wöllner.
    Im Übrigen herrschte beklommenes Schweigen. Mir stieg die Röte ins Gesicht, als der König fragte:
    »Wer ist die Dame, die solche Mutmaßung äußerte?«
    Er blickte zu Beatrice de Grève, die lakenblass auf ihrem Stuhl saß und den neben ihr befindlichen Bonneheure wie den Teufel zu scheuen schien. Der König blickte zur Kronprinzessin, die die Schultern zuckte, und schließlich zur Rietz.
    Sodann richteten sich die Blicke aller auf mich ...
    »Marquise – verraten Sie uns, was Sie behauptet haben?«, fragte der König.
    In meiner Verzweiflung sah ich tausend Bilder vor mir ablaufen. Es war mir, als hätte ich gar nichts behauptet. Oder hatte ich doch? Polizeipräsident Distel stieg in meiner Achtung ungemein, als er mir aus der Verlegenheit half:
    »Sie haben, Marquise, mir die Vermutung nahegelegt, dass hier vor etwas mehr als drei Wochen ein Raubmord geschah. Ich kann vorausschicken, dass die Briefe, die Ihnen eines der Mordopfer schickte, wirklich Hinweise darauf enthalten, dass etwas Wertvolles im Spiele war. Und ich bin durch Ihre Andeutungen hinreichend überzeugt, dass das betrügerische Spiel der Herren Arrat und Dampmartin nicht nur auf einem Versuch beruht, Ew. Majestät Geld statt in die löblichen Zurüstungen von Malmaison in die Taschen der Revolution oder gar in die eigenen zu stecken.«
    »Bei unserer Ehre als Revolutionäre:
das
nie!«, rief Dampmartin und zerrte an seinen Fesseln.
    Distel beäugte ihn scharf und fand den Faden wieder:
    »Wir haben allen Grund zur Annahme, dass diese Herren Exekuteure des französischen Revolutionstribunals sind, welches unter dem Deckmantel des
Volonté générale
nun im Auftrag des
Comité de salut public
alle Feinde der Revolution beseitigen soll!«
    Die beiden strafften sich, wendeten aber nichts dawider ein, sodass dieser Punkt für ausgemacht gelten durfte. Ich musste anerkennend feststellen, dass Distel seine Hausaufgaben gemacht und sich erfolgreich seiner Lehrzeit in Paris entsonnen hatte.
    »Was behaupten Sie genau, Marquise?«, fragte der König.
    »Raubmord? Etwas Wertvolles im Spiel? Was für ein Spiel wurde hier gespielt? Ich hörte von Harfen auf Schultern?« Jérôme drückte meine Hand, um mich zu ermutigen, das Wort zu ergreifen. Ich würgte den Kloß in meinem Hals hinunter und begann:
    »Ew. Majestät, ich bin untröstlich, dass ich unversehens zur Überbringerin schlechter Nachrichten werde, doch mir scheint, ich darf nicht länger schweigen!«
    Der König machte eine leicht überdrüssige Handbewegung.
    Doch etwas in seinem Gesicht zeigte mir, dass er durchaus mehr zu erfahren wünschte. Ich hatte erwartet, dass er nach der so missglückten Zitation am Boden zerstört wäre, doch er war standhafter als gedacht.
    »Bitte erklären Sie sich nur, Marquise! Sie werden einen interessierten Zuhörer in mir finden.«
    Verzweifelt suchte ich mir die Fingerzeige der Erscheinung des alten Königs vor Augen zu führen. Bruchstückhaft leuchteten sie auf. Doch je

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