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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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mehr ich mich an diese Rätselsprüche zu erinnern versuchte, desto klarer wurden mir die eigenen Gedanken. Und so hob ich also an und sagte:
    »Die drei Toten hatten Harfen auf den Schultern, und sie suchten nach dem, was die Harfe verkörpert – nach Reinheit!Sie waren Anhänger der Lehren Swedenborgs und beschworen die Geister der toten Franzosenkönige. Die Tataus waren Mitgliedszeichen der
L’école d’absolu

    Wöllner und der König bekreuzigten sich.
    »Im Exil wieder glücklich vereint, nachdem sie auf getrennten Wegen dem Mahlstrom der Revolution entgangen waren, setzten sie ihr Tun in diesen alten, ehrwürdigen Mauern fort. Und sie hatten, anders als die Betrüger heute, ein wirkliches Kleinod, das sie hüteten wie ihren Augapfel und das ihnen bei den Beschwörungen zur Bündelung der geistigen Kräfte diente. Diese waren einzig darauf gerichtet, die französische Krone wieder erstarken und das Königtum in seine alten Rechte eingesetzt zu sehen.«
    Gebannt blickte der König mich an.
    »Was, glauben Sie, war das für ein Kleinod?«
    »Ich weiß es nicht, doch was es auch war – es lag hier im Raum versteckt. In der Wohnung des Comtes.«
    Ich wartete auf eine Erleuchtung. Und siehe da, sie kam:
    »An einer Stelle des Parketts, die ohnedies schadhaft war und die sich vorhin gehoben hat!«
    Ich verließ den Kreis der Stühle und ging zu der Stelle nahe beim Eingang, wo das Versteck im Boden eingelassen war. Der Diener sah mich hündisch an. Was hatte die Erscheinung gesagt:
Wo einmal nichts ist, kann später etwas sein, das gilt für Verstecke wie für Vorsätze
... Ein bereits durchsuchtes Versteck ist bekanntlich das sicherste.
    »Hier ...!«
    Ich machte Anstalten, die Parkettzöpfe zu lösen, was durch die Aufstülpung sehr leicht war. Da sprang Bonneheure auf und rief flehentlich:
    »Bitte tun Sie das nicht!«
    Ein schlechter Versuch, mich von etwas abzubringen. Der denkbar schlechteste, da bin ich wie ein Kind. Wenn jemandsagt, tu’s nicht, so tu ich’s, und zwar sofort – es sei denn, der Bittende heißt Jérôme. Ich hatte mein Ziel rasch erreicht, die Öffnung war geschaffen, der Deckel mit den beiden Grifflöchern gehoben, und was ich fand, war ...
    »Oh, ein Brief!«
    Es war der Liebesbrief, den Anne de Pouquet an Bonneheure geschrieben und den dieser in einer Anwandlung des Schmerzes hatte verbrennen wollten. Er musste ihn später aus Sentimentalität doch noch hier hineingelegt haben.
    Distel war hinzugetreten und untersuchte die Höhlung.
    Desgleichen tat der Kronprinz:
    »Druckkreis auf Samt, rot, eine Handspanne breit. Könnte von einem Ring oder einem Reif herrühren. Was für ein Brief? ... Ah – riecht amourös!«
    Er griente pikiert. Der Polizeichef dagegen hielt sich die Hand, mit der er den Kreis ausgemessen hatte, über den Kopf. Jérôme zischte etwas, aber ich verstand ihn nicht genau, nur das Wort
ohne
. Ich wollte mich nicht aus dem Konzept bringen lassen und sagte zu Bonneheure:
    »Falls sie Ihnen darin von mehr als von ihrer Liebe schrieb, müssen Sie gestatten, dass ich ihn lese.«
    Er lächelte gequält und sagte zum König:
    »Ich versichere Ew. Majestät, dass ich nichts unterdrücken wollte, was der Polizei hätte helfen können. Aber es waren der Schmerz und die Scham, die mich blind machten. Ich weiß nicht, warum sie mir all das schrieb. Kann nur schließen, dass sie mich wirklich liebte und mir ihre Herkunft und ihr Handeln zu erklären suchte ... Sie selbst wollte, dass ich den Brief verbrenne, doch ich brachte es nicht übers Herz.«
    Er tat mir leid, sodass ich hinzufügte:
    »Ich werde ihn leise lesen ... bis auf die Passagen allgemeinen Interesses.«
    Jérôme zog mich am Ärmel, aber ich wehrte die Störung ab und überflog das Schreiben ... und erstarrte. Verdammt! Die scheue Anne de Pouquet ... Ich hätte den parfümierten Fetzen am liebsten in der Luft zerrissen. Der Inhalt brannte sich mir ein, und man darf sicher sein, dass ich den Tonfall richtig wiedergebe, obzwar die Formulierungen in der Erinnerung zweifellos etwas an Schärfe gewonnen haben dürften.
    »Falsche Schlange!«, zischte ich unwillkürlich.
    Anne de Pouquet hatte sich tatsächlich eines Incognitos bedient, wie ich es bei Grandeville behauptet hatte. Ich war verstört, erstaunt und verletzt darüber, dass sie sich mir nicht zu erkennen gegeben hatte. Doch weit schlimmer: Sie hatte sich auf denkbar abschätzigste Weise über mich und Jérôme geäußert und unsere echten, warmen

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