Der Rote Sarg
hineinzulegen. Sofort wurde er vom schwarzen Wasser umspült. Dann packten sie die schwammige Erde über ihn, und als sie fertig waren und sich aufrichteten, deutete kaum noch etwas darauf hin, dass hier ein Mensch begraben worden war.
Als Maximow losging, um den Wagen zu holen, wandte sich Kirow an Pekkala. »Warum verhaften wir den Dreckskerl nicht einfach?«
»Ihn verhaften?«, fragte Pekkala. »Aus welchem Grund?«
»Keine Ahnung!«, platzte es aus Kirow heraus. »Wegen Feigheit?«
»Sie scheinen sich über ihn ja sehr schnell ein Urteil gebildet zu haben.«
»Manchmal reicht dazu ein einziger Blick«, beharrte Kirow. »Wissen Sie, ich habe ihn vorher schon mal gesehen. Er war in Tschitscherins Restaurant, als ich Nagorski abgeholt habe. Er hat mir damals nicht gefallen, und jetzt mag ich ihn noch weniger.«
»Schon mal darüber nachgedacht, dass er vielleicht recht haben könnte?«
»Recht haben? Womit?«
»Nicht in den Wald zu laufen. Warum sind Sie eigentlich mitgekommen?«
Verwirrt runzelte Kirow die Stirn. »Ich bin losgelaufen, weil Sie losgelaufen sind, Inspektor.«
»Und wissen Sie, warum ich losgelaufen bin, trotz Samarins Warnung?«
»Nein.« Kirow zuckte mit den Schultern. »Nein, weiß ich nicht.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Pekkala. »Wir können also von Glück reden, dass wir noch hier sind und nicht unter der Erde liegen.«
Hinter einem der Gebäude tauchte Maximows Wagen auf und kam auf sie zu.
»Behalten Sie Lysenkowa im Auge«, wies Pekkala Kirow an. »Erzählen Sie nichts herum, falls Sie etwas erfahren. Und zügeln Sie Ihr Temperament.«
»Das«, murmelte der junge Major, »kann ich Ihnen nicht versprechen.«
Nachdem Pekkala auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, folgte Maximow der schmalen Straße, die von der tristen Anlage wegführte.
»Ich entschuldige mich für meinen Assistenten«, sagte Pekkala. »Manchmal denkt er zu wenig nach, bevor er handelt.«
»Da scheint er nicht der Einzige zu sein«, erwiderte Maximow. »Aber falls Sie sich um meine Gefühle Sorgen machen, Genosse Inspektor, da können Sie sich die Mühe sparen.«
»Woher kommen Sie, Maximow?«
»Ich habe an vielen Orten gelebt«, erwiderte er. »Ich komme nicht von irgendwoher.«
»Und was haben Sie vor der Revolution gemacht?«
»Das Gleiche wie Sie, Inspektor. Mir den Lebensunterhalt verdient und irgendwie überlebt.«
Pekkala sah zu den vorbeiziehenden Bäumen. »Jetzt sind Sie schon zwei Fragen ausgewichen.«
Maximow trat auf die Bremse. Die Räder blockierten, der Wagen geriet ins Schlingern, und einen Augenblick lang sah es so aus, als würden sie geradewegs im Graben landen, bevor der Wagen am Straßenrand zum Halt kam. Maximow stellte den Motor aus und sah Pekkala an. »Wenn es Ihnen nicht gefällt, dass ich Ihren Fragen ausweiche, dann sollten Sie vielleicht aufhören, mir welche zu stellen.«
»Es ist meine Aufgabe, Fragen zu stellen«, sagte Pekkala, »und früher oder später werden Sie sie beantworten müssen.«
Maximow starrte Pekkala an, aber je länger er das tat, umso mehr wich der Zorn aus seinem Blick. »Tut mir leid«, sagte er schließlich. »Ich habe nur so lange überlebt, weil ich meinen Mund gehalten habe. Alte Gewohnheiten stellt man nicht so einfach ab, Inspektor.«
»Es war für uns alle nicht einfach, am Leben zu bleiben«, sagte Pekkala.
»Da habe ich anderes von Ihnen gehört. Man sagt, Sie wären verzaubert gewesen.«
»Das sind nur Geschichten, Maximow.«
»Sind sie das? Ich habe Sie aus dem Wald kommen sehen, ohne den geringsten Kratzer.«
»Ich war nicht der Einzige.«
»Das würde Hauptmann Samarin aber ein großer Trost sein, wenn er noch am Leben wäre. Wissen Sie, als Kind habe ich immer gehört, wenn ein Russe in den Wald geht, verirrt er sich. Aber wenn ein Finne in den Wald geht …« Er legte die Fingerspitzen aneinander und öffnete daraufhin die Hände, als ließe er eine Taube frei. »… dann verschwindet er einfach.«
»Sagte ich doch. Alles bloß Geschichten.«
»Nein, Inspektor«, erwiderte er. »Da steckt mehr dahinter. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Was haben Sie gesehen?«, fragte Pekkala.
»Ich war dabei, damals auf dem Newski-Prospekt, wo Sie eigentlich hätten sterben müssen.«
E s war ein Sommerabend. Tagsüber hatte sich Pekkala nach einem Geburtstagsgeschenk für Ilja umgesehen und dazu die Geschäfte in der sogenannten Passasch abgeklappert – eine mit Glas überdachte Arkade mit teuren Juwelieren,
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