Der Rote Sarg
Angler im Boot, wahrscheinlich vom Geschrei aufgeschreckt, wandte den Kopf.
Pekkala erkannte jetzt, dass es sich um einen jungen Mann handelte, vermutlich Nagorskis Sohn. Konstantin.
Er holte die Leine ein, legte die Angel zur Seite und griff zu den Rudern. Langsam näherte er sich dem Ufer. Das Knarren der Ruder in den Riemendollen war zu hören, von den Ruderblättern tropfte silbern das Wasser.
Nagorskaja drehte sich um und ging zur Datscha. Auf der ersten Stufe zur Veranda geriet sie ins Stolpern, sie stützte sich mit einem Arm auf den Planken ab und sank auf die Stufen.
Pekkala eilte zu ihr.
Kurz sah sie ihn an, bevor sie den Blick wieder abwandte. »Ich habe ihm immer gesagt, dass das Projekt ihn noch umbringen wird. Ich muss meinen Mann sehen«, sagte sie.
»Davon würde ich abraten«, erwiderte Pekkala.
»Ich möchte ihn sehen, Inspektor. Sofort.«
Es war zwecklos, sie davon abbringen zu wollen, wie ihm ihr entschiedener Ton verriet.
Das Boot stieß gegen das Ufer. Der junge Mann legte die Ruder hinein und stieg aus dem kippeligen Gefährt. Konstantin war einen Kopf größer als seine Mutter, hatte dunkle Augen und kurze, zerzauste Haare, die dringend gewaschen gehörten. Seine schweren Leinwandhosen hatten Flicken auf den Knien und sahen aus, als hätten sie früher einem anderen gehört. Er trug einen Pullover mit durchgescheuerten Ellbogen, und seine nackten Füße waren mit Mückenstichen übersät, was ihn aber offensichtlich nicht störte.
Konstantin sah vom einen zum anderen und wartete auf eine Erklärung.
Maximow ging schließlich zu ihm, legte ihm den Arm um die Schulter und sprach so leise mit ihm, dass die anderen es nicht hörten.
Konstantin wurde blass und schien auf etwas zu starren, das keiner sonst sah – als würde der Geist seines Vaters leibhaftig vor ihm stehen.
Bei dem Anblick spürte Pekkala, wie sich ein Gewicht auf sein Herz legte, als hätte sich sein Blut in Sand verwandelt.
Maximow fuhr Frau Nagorskaja zur Anlage, während Pekkala mit ihrem Sohn am Esstisch in der Datscha saß.
Die Wände waren mit Dutzenden Plänen bedeckt. Manche waren Explosionszeichnungen des Motors, andere zeigten das Innenleben von Kanonen oder die gekrümmten Rohre von Auspuffanlagen. Auf Regalen lagen Metallteile, Lüfterblätter, ein Holzstück, in das verschieden große Schrauben gedreht worden waren. Auf dem Kaminsims lag ein einzelnes Kettenglied. Der gesamte Raum roch nicht, wie zu erwarten, nach offenem Feuer, nach Kochdünsten oder Seife, sondern nach Maschinenöl und der ätzenden Tinte der Blaupausen.
Die Möbel waren von höchster Qualität: Walnussschränkchen mit facettierten Glasfronten, Ledersessel mit Messingnieten, die sich wie Maschinengewehrgürtel die Nähte entlangzogen. Der Esstisch, an dem sie saßen, war viel zu groß für die kleine Datscha.
Wahrscheinlich hatte die Familie Nagorski zur alten Aristokratie gehört. Die meisten dieser Familien waren während der Revolution geflohen oder in den Arbeitslagern verschwunden. Nur wenige waren geblieben, und noch weniger hielten an den Überresten ihres ehemaligen gesellschaftlichen Standes fest. Dieser Luxus war nur denen vergönnt, die sich als wertvoll für die Regierung erwiesen hatten.
Nagorski hatte dieses Recht vielleicht zugestanden, aber Pekkala fragte sich, was aus der Familie werden würde, nachdem er jetzt tot war.
Für Pekkala gab es nichts weiter zu sagen. Manchmal war es das Beste, jemandem einfach nur Gesellschaft zu leisten.
Konstantin, der in seinen eigenen Gedanken gefangen war, starrte unentwegt aus dem Fenster in das purpurfarbene Dämmerlicht, das allmählich in die Schwärze der Nacht überging.
Pekkala musste an seinen eigenen Vater denken. Es war ein kalter Januarmorgen gewesen, als er ihn zum letzten Mal gesehen hatte – der Tag, an dem er von zu Hause abgereist war, um dem Finnischen Garderegiment des Zaren beizutreten.
Er hatte sich aus dem Waggonfenster gelehnt, als der Zug aus dem Bahnhof fuhr. Auf dem Bahnsteig hatte nur sein Vater gestanden, in einen langen, schwarzen Mantel gehüllt, auf dem Kopf einen breitkrempigen Hut. Seine Mutter war in ihrem Kummer nicht zum Bahnhof mitgekommen. Zum Abschied hob sein Vater die Hand, über ihm hingen die schweren Eiszapfen vom Bahnhofsdach wie die Zähne eines Untiers.
Zwei Jahre darauf war sein Vater an einem Herzinfarkt gestorben. Er hatte einen Leichnam auf einem Schlitten zum Krematorium gebracht, das sich in einiger Entfernung zum Haus im
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