Der rote Tod
Die Sorgen wegen Warburton verblassten, als ich mich an das erinnerte, was mich hergeführt hatte. Mein Herz begann zu schmerzen.
Obwohl sie mich nicht sehen konnte, spürte sie dennoch schnell die Änderung in meiner Stimmung. »Was ist los, Jonathan?«
»Ich habe schlechte Neuigkeiten.« Gott, war das alles, was ich dazu sagen konnte?
Aber sie hörte den Schmerz in meiner Stimme und drehte sich um, um mich anzusehen.
Ich suchte tastend nach dem Brief und holte ihn heraus, mit dem unbestimmten Gedanken, dass sie ihn selbst lesen könne, aber änderte meine Meinung. Eine Zusammenfassung war genug. Mehr als genug. »Meine Familie. Sie wollen, dass ich nach Hause komme.«
Nun nahm sie mir den Brief aus der Hand und las ihn durch. Sie sagte nichts. Worte waren nicht notwendig. Unpassend. »Vater hat geschrieben, aber ich weiß, es muss die Idee meiner Mutter sein. Nur sie kann närrisch genug sein, um mich hier herauszureißen, bevor ich mit meinem Studium fertig bin. Das ist vollkommen dumm! Wie kann sie mir das antun?«
»Bist du nur wegen deines Studiums so unglücklich?«
»Natürlich nicht! Ich hoffe, du glaubst nicht...«
»Nein, Jonathan«, sagte sie ernst. »Ich kenne dich dafür zu gut, aber ich stimme dir zu. Nach dem, was du mir von deinem Vater erzählt hast, würde er dich nur sehr widerstrebend deiner Ausbildung hier entreißen ... außer, wenn sie dich wirklich brauchen, wie er sagt.«
»Unser Zuhause wird wohl kaum im Mittelpunkt des Aufruhrs stehen. Die Unruhen finden in Boston, Philadelphia und Virginia statt. Das Haus ist unzählige Meilen von dort entfernt, warum sollten sie mich brauchen?«
»Es geht vielleicht eher um das ›Wollen‹ als um das ›Brauchen‹«, betonte sie. »Ich glaube, dass dein Vater Angst hat.«
Ich wäre fast mit einer bitteren Erwiderung herausgeplatzt, verstummte jedoch, als ich ihren traurigen Blick bemerkte. Ich nahm den Brief wieder an mich und las ihn noch einmal. Aus diesem Blickwinkel betrachtet , schien mich die Wahrheit geradezu anzuspringen und mich mitten ins Herz zu treffen. Ich hatte es vorher nicht sehen wollen. Es zu sehen würde bedeuten ...
»Aber ich kann dich nicht verlassen, Nora«, sagte ich, wobei sich Tränen in meine eigene Stimme einschlichen. »Ich könnte es nicht ertragen.«
»Pst«, war alles, was sie sagte. Sie zog mich an sich, bis mein Kopf an ihrer Brust ruhte, und schlang ihre Arme um mich. Ein Teil von mir wollte weinen, aber ich tat es nicht. Was würde es nützen?
Einige Stunden später kroch ich fast zu meinem Zimmer zurück, mutlos und hoffnungslos und ohne Idee, wie ich meine Pflicht gegenüber meinem Vater vermeiden könnte. Ich hatte Nora vorsichtig gefragt, ob sie mit mir nach Hause reisen wolle, aber sie war nicht fähig gewesen, mir zu antworten. Das hatte wehgetan. Ich hatte mir gewünscht, dass sie sofort Ja sagen würde. Aber sie war ehrlich. Sie wusste wirklich nicht, was sie mir antworten sollte.
»Es gibt da so vieles zu bedenken«, meinte sie. »Lass mir die Zeit, es zu bedenken.«
Sie zu einer Entscheidung zu drängen wäre nicht in Ordnung gewesen. Alles, was ich tun konnte, war, ihre Haltung zu akzeptieren und abzuwarten. Zumindest hatte sie mir keine unmittelbare Absage erteilt.
Die letzte Person, die ich sehen wollte, war Tony Warburton, aber er saß in seinem Sessel in dem Salon, den wir uns alle teilten, und streckte alle viere von sich. Er wartete auf mich. Zwei leere Weinflaschen standen auf dem Tisch neben ihm, und er war gerade dabei, eine dritte zu leeren, als ich he reinkam. Noras Intervention hatte das Unvermeidliche nur hinausgeschoben, soweit es uns betraf. Irgendwie würde ich die Angelegenheit mit ihm auf eine Weise klären müssen, die nicht in einem Duell endete.
»Barrett«, sagte er. Er sah verlegen und schüchtern aus, und seine Augen begegneten meinen nicht direkt. Sein ganzer Arger war verschwunden.
Ich hatte nicht gewusst, was ich erwarten sollte: eine Kampf ansage, einen Verweis, eine Beleidigung – alles, außer Reue.
Mein eigener Ärger verschwand wie durch Zauberhand. Er tat mir leid, aber mir war nicht nach einem weiteren Gespräch, insbesondere, da er betrunken war.
Ich wollte in mein eigenes Zimmer gehen, aber er stand taumelnd von seinem Stuhl auf, um mich abzufangen.
»Bitte ... Barrett, bitte hör mich an. Ich möchte mich nur bei dir entschuldigen.« Seine Worte klangen verwaschen, aber ehrlich.
Die Ehrlichkeit eines Trunkenboldes. Oh, nun, in meiner jetzigen
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