Der Rote Tod
deren Laub ein Schattenmuster auf das Dach malte.
»Da müssen Sie hin.«
»Danke.« Harry nickte und stellte dabei die nächste Frage. »Ist Ihnen an den Kohlers etwas aufgefallen?«
»Wieso das denn?«
»Nun ja. Haben sie sich ungewöhnlich benommen?«
»Überhaupt nicht. Abgesehen davon, dass der Mann Schauspieler ist, nicht. So was ist in unserer Gemeinschaft natürlich selten. Die Leute halten sich auch sehr zurück. Wir wissen nur, dass sie wieder fahren, wenn das Gastspiel des Mannes beendet ist.«
»Danke, das wollten wir wissen.«
Der Mann bekam schmale Augen. »Sie sind von der Polizei, wie?«
»In etwa.«
»Geht es um die Morde?«
Harry lächelte vielsagend. »Wir ermitteln in alle Richtungen. So suchen wir Zeugen.«
»Ha, aber nicht bei uns. Da seid ihr auf der falschen Fährte. Wir alle sind keine Killer.«
»Das glauben wir Ihnen sogar. Aber Sie wissen ja. Wir Polizisten müssen überall nach Spuren suchen, sonst gibt es keinen Erfolg.«
»Ja, kann ich mir schon vorstellen.«
Nach einem knappen Dank gingen wir weiter. Harry wollte von mir wissen, was mir mein Gefühl sagte.
Ich musste zuerst lachen. »Meinst du, wir lösen den Fall nach meinem Gefühl?«
»Es ist doch vorhanden – oder?«
»Ja.«
»Dann raus mit der Sprache.«
»Ich könnte mir vorstellen, dass Hanna mehr weiß, als sie zugegeben hat. Möglicherweise hat sie ja auch mit ihren Eltern darüber gesprochen. Auf die bin ich gespannt.«
»Mehr nicht?«
»Was willst du hören?«
»Mich würde interessieren, ob du einen Verdacht hast.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Wie käme ich dazu? Es gibt keinen Verdacht. Es gibt auch keinen Grund für einen Verdacht. Wir kennen nur Hanna, nicht ihre Eltern. Ich denke nicht, dass wir sie mit Vorurteilen besuchen sollten.«
»Wir werden sehen.«
»Du denkst anders, wie?«
Harry zuckte nur die Achseln. Er wollte nicht sprechen. Da wir den Wagen mittlerweile erreicht hatten, stellte auch ich keine weiteren Fragen. Es war ein recht großes Wohnmobil, das auch einen Mitteleinstieg besaß. Durch genügend Fenster drang Licht in das Innere, doch wir selbst konnten nicht hinein schauen, denn vor einigen Fenstern hingen Gardinen, und so blieb uns nichts anderes übrig, als zu klopfen.
Was hinter der Tür passierte, bekamen wir nicht mit. Keine Stimme, keine Schritte, und so musste Harry noch mal gegen die Tür pochen.
Diesmal hatte er Erfolg. Die Tür wurde geöffnet, allerdings nur einen Spalt weit, in den wir hineinschauen konnten. Der Teil eines Frauengesichts malte sich ab.
»Sie wünschen?«
»Frau Kohler?«
»Ja.«
Harry lächelte wieder. Er stellte sich vor und vergaß mich ebenfalls nicht. »Wir möchten gern mit Ihnen reden.«
»Worum geht es denn?« Die Frau war wenig kommunikativ, schon scheu, was mich wunderte, denn oft sind die Menschen auf diesen Campingplätzen recht gesprächig.
Harry hielt einen Ausweis gegen den Spalt und erklärte, dass wir von der Polizei waren. »Es geht da um Ihre Tochter, Frau Kohler. Sie hat ja die Leiche gefunden und ist...«
»Mein Gott, das war in der letzten Nacht.«
»Stimmt.«
»Da ist meine Tochter bereits verhört worden. Außerdem ist Hanna nicht da. Sie müssen sich draußen umschauen. Sie wollte spielen und...«
»Irrtum. Meine Kollegin, Frau Dorn, ist gekommen und hat Hanna mitgenommen.«
»Wieso?«
Harry fing es geschickt an. »Ich denke, dass wir darüber besser im Wagen reden. Hier sind zu viele Menschen, die zuhören könnten.«
Der Hinweis auf Hanna hatte gewirkt. Frau Kohler nickte, öffnete die Tür und ließ uns eintreten. Der Wagen war so hoch, dass ich mich nicht mal bücken musste. Mit seiner Einrichtung konnte man leben, und er war sogar in der Mitte unterteilt.
Mit einem Blick hatte ich erkannt, dass Frau Kohler allein war. Keine Spur von ihrem Mann. Ich stellte die Frage nach ihm und erfuhr, dass er zum Theater gegangen war.
»So früh?«
»Ja. Er muss sich vorbereiten. Er braucht Ruhe. Und er probiert immer wieder bestimmte Szenen noch mal für sich durch. Das Publikum hier ist verwöhnt. Er muss schon sein Bestes geben.«
»Das kann ich mir denken.«
Sie bot uns Plätze auf der Sitzbank an und ließ sich selbst vorsichtig nieder, als wäre sie hier in ihrem eigenen Bereich eine Fremde. Ob sie etwas zu verbergen hatte, war nicht festzustellen. Ihre Augen bewegten sich unruhig, die Lippen zuckten. Das alles waren Hinweise darauf, dass sie etwas bedrückte.
Und es kam noch etwas hinzu.
Gertrud
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