Der Rote Tod
würde sie sehen, wie er reagierte.
»Danke, Frau Kohler, dass Sie es mir gesagt haben. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.« Sie erhob sich von ihrem Stuhl und wurde von Gertrud Kohler fragend angeschaut.
Was haben Sie denn jetzt vor?«
»Ich werde zu Ihrem Mann fahren.«
»Bitte? Aber die Vorstellung...«
»Hat noch nicht angefangen. Ich weiß, in welchem Theater er spielt. Das ist kein Problem.«
»Wollen Sie allein hin?«
Ulrike Dom dachte einen Moment nach. Sie erinnerte sich dabei an Harry Stahl und den Mann aus London. Ihnen wollte sie den Triumph nicht gönnen, und deshalb nickte sie.
»Ich werde allein zu Ihrem Mann fahren und ihn mit den Vorwürfen konfrontieren.«
»Seien Sie nur vorsichtig, Frau Dom.«
»Keine Sorge, das bin ich. Ihr Mann wäre nicht der erste Mörder, den ich gestellt hätte..«
»Aber keiner der anderen war der Rote Tod«, gab Gertrud Kohler flüsternd zurück. »Das sollten Sie immer bedenken...
***
Es war ein Zwei-Personen-Stück. Eigentlich hätte eine Garderobe für die Schauspieler ausgereicht, doch hier im Theater besaß jeder Akteur einen Raum für sich, obwohl nur zwei vorhanden waren. Dafür gab es in jedem vier Schminktische und die entsprechenden Spiegel, die sich gegenüberstanden.
Richard Kohler war damit sehr zufrieden. Er brauchte keine Maskenbildnerin, um sich schminken zu lassen, das machte er lieber allein. Er wusste, dass nicht alles so gelaufen war, wie es hätte laufen sollen. Man war ihm auf der Spur, aber er würde sich nicht von seiner Aufgabe abhalten lassen. Dafür stand eine zu große Kraft im Hintergrund. Nein, er musste es durchziehen.
Bis auf seine Unterwäsche hatte er sich ausgezogen. Die Kleidung lag zusammengefaltet auf einem Stuhl, der rechts neben der Garderobentür stand. Er schaute sich im Spiegel an und sah darin sein normales Gesicht, dessen Haut keine Risse zeigte, aus denen das Blut quoll. Die Augen schauten ebenfalls völlig normal. Kein roter Tropfen schimmerte in den Pupillen oder um sie herum.
Ein normaler Mensch saß auf dem Hocker und gab sich seinen Vorbereitungen hin.
Er spielte den Teufel, den Mephisto. Auch wenn es nur eine kurze Adaption des großen Faust war, so hielt er sich für den besten Schauspieler, der diese Rolle bisher auf die Bühne gebracht hatte. All die großen Namen, die im Olymp des Theaters standen, verblassten gegen ihn. Er wusste es. Leider hatte es die Öffentlichkeit noch nicht erfahren, aber irgendwann würde sich das ändern.
Bis zum Beginn der Vorstellung hatte er noch Zeit. Er legte Wert auf die sorgfältige Vorbereitung, und da ließ er sich auch von keinem Fan oder Besucher stören. Selbst für seine Familie war die Garderobe tabu, hier herrschte er.
Sein Schauspielerkollege durfte ihn ebenfalls nicht stören. Es war ein noch junger Mann, der die Schauspielschule gerade erst vor einem Jahr verlassen hatte und sich in seinen zweiten Engagement befand. Sehr begabt, der junge Mann, der Chris Bücker hieß. Ihm stand sicherlich eine gute Karriere bevor.
Mit dem Schminken des Gesichts war Richard fertig. Er grinste sich selbst zu. Die Maske war mal wieder perfekt geworden. Auf der recht hellen Schminke waren die dunklen Stellen gut zu sehen. Die scharfen grauen Falten und auch das düstere Gelb, das aussah wie schmutziger Schwefel. An den Augen brauchte er nichts zu verändern, nur die Umgebung hatte er dunkler gemalt.
Er griff zum Kamm. Das dichte Haar lief geschmeidig durch die Lücken zwischen den Zinken. Er war froh, eine solche Dichte zu besitzen. Er kannte Kollegen, die in seinem Alter bereits unter Haarausfall litten und Perücken tragen mussten.
Bei ihm war alles perfekt. Es lief super. Er konnte sich nicht beschweren, das Schicksal stand auf seiner Seite, und auch seine Tarnung war perfekt. Je intensiver er seiner Tätigkeit nachging, desto stärker spürte er die neue Kraft in seinem Innern und war von einer wahren seelischen Begeisterung erfüllt.
Er lachte sich selbst im Spiegel an. Dabei würde es nicht bleiben. Es sollte mehr werden, viel mehr, und es war spannender geworden, seit die Polizei den Ring enger gezogen hatte.
Sollte sie. Denn sie wusste nicht, wer oder was tatsächlich hinter ihm steckte. Diese Kraft war der der Menschen bei weitem überlegen, und manchmal genoss er es, unbesiegbar zu sein, denn so schätzte er sich bereits ein.
So herrschte in seinem Innern eine nahezu wilde Freude, die nur jemand wie er erleben konnte. Dazu war ein normaler Mensch einfach
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