Der Rote Tod
des Theaters, aber auch Hanna war ihm nicht unbekannt. Sein Lächeln wurde noch breiter, als er sie sah.
»Auch mal wieder hier, junge Dame?«
Hanna nickte. Sie musste sich stark zusammenreißen, damit man ihr die Nervosität nicht ansah. Sie hatte wirklich das Gefühl, dass jeder erkannte, wie es in ihr aussah.
Sie schaute in das Guckloch und nickte.
»He, du bist aber heute wenig gesprächig.«
»Ich will ja nur zu meinem Vater.«
»Hatte ich mir gedacht. Bist spät dran. Oder willst du nicht besser bis zur Pause warten? Ich kenne die Schauspieler. Sie können oft sauer werden, wenn man sie stört.«
»Er weiß Bescheid. Er erwartet mich.«
»Das ist etwas anderes. Hatte ich mir übrigens auch gedacht. Den Weg kennst du ja.«
»Klar, danke.«
Hanna winkte noch mal, dann ging sie auf die Treppe zu und stieg hoch in die erste Etage. Sie hatte sich vor dem Theater nicht umgesehen und war direkt hier zum Hintereingang gelaufen. Es drängte die Zeit, das wusste sie selbst, und sie wollte noch vor der Vorstellung herausfinden, ob ihr Verdacht gerechtfertigt war. Glauben konnte sie es noch immer nicht. Ihr Verstand weigerte sich einfach, aber die Beweise sprachen dafür, dass ihr Vater ein Mörder war. Nicht nur das, er war sogar ein besonderer Mörder. Er war der Rote Tod, der hier in Göttingen seine Spuren hinterlassen hatte.
Das nagte an ihr. Das machte sie irgendwie fertig. Das brachte sie durcheinander, und wenn ihr Herz schlug, dann spürte sie jeden Schlag schon jetzt überdeutlich.
Die Garderobenräume lagen nicht im ersten Stock, obwohl sie die Treppe hochgegangen war. Auf halber Höfe fand sie den Flur, der zu ihnen führte.
Am Eingang blieb sie stehen. Sie schaute hinein und stellte fest, dass es ein recht düsterer Schlauch war, der vor ihr lag. Es gaben zwar drei Lampen Licht, aber die wirkten so trübe wie vom Nebel umwehte Gestirne.
Sie wusste, wo die Garderobe ihres Vaters lag. Schon mehrmals hatte sie ihn besucht, auch zusammen mit ihrer Mutter. Da war sie immer voller Freude gewesen, denn schließlich war sie stolz auf ihren Vater, der ein wirklich gefeierter Bühnenschauspieler war und dem die Menschen viel Beifall spendeten. Sie hatte das Rauschen des Applauses oft genug gehört und hatte sich dabei vorgestellt, dass dieses Klatschen nicht nur ihrem Vater, sondern auch ihr galt.
Das war vorbei.
Sie kannte sich selbst nicht mehr wieder, als sie am Beginn des Flurs stand und merkte, wie ihr Schweiß ausbrach. Es gab keine Lockerheit mehr. Dieses Gefühl hatte sich in das Gegenteil umgewandelt.
Das Mädchen musste erst seine Furcht überwinden, um weiterzugehen. Sie hätte jetzt noch zurücklaufen können. Genau das tat sie nicht. Wenn ihr Vater auch ihr hätte etwas antun wollen, dann hätte er in der vergangenen Nacht die Chance gehabt. Er hatte es nicht getan, und daraus schöpfte sie Hoffnung.
Hanna hatte sich sogar etwas vorgenommen. Sie wollte – wenn möglich – ihren Vater davon abhalten, weitere Morde zu begehen. Das war für sie einfach nicht nachvollziehbar. Menschen musste man umdrehen können, besonders Töchter ihre Väter, die ja angeblich ein besonders gutes Verhältnis zueinander hatten.
Als sie die Tür erreicht hatte und davor stehen blieb, wunderte sich Hanna darüber, wie schnell dies passiert war. Es kam ihr vor wie ein Traum, der allerdings nicht gut, sondern bedrückend war. Sie traute sich noch nicht, an die Tür zu klopfen. Zuerst drückte sie das Ohr gegen das Holz, um nach den Geräuschen zu lauschen, die sie hinter der Tür vernahm.
Da war nichts.
Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder hatte ihr Vater die Garderobe schon verlassen, um hinter der Bühne zu stehen, was er auch hin und wieder tat, oder er war noch da und konzentrierte sich, um auf der Bühne das Beste geben zu können.
Reingehen oder woanders nachschauen?
Sie entschied sich für die erste Möglichkeit. Sie wollte nicht feige sein. Die Klinke fühlte sich kühl an, als sie ihre Hand darauf legte. Behutsam wurde das Stück Metall nach unten gedrückt. Außerdem wunderte sie sich über sich selbst, dass sie nicht angeklopft hatte. So etwas wie ein schlechtes Gewissen drang in ihr hoch, und so öffnete sie die Tür nur spaltbreit, um einen ersten Blick in den Raum werfen zu können.
Viel war nicht zu sehen. Keine Bewegung, aber ihr Blick fiel auf den Spiegel, vor dem niemand saß. Sie wusste, dass es noch weitere davon gab, die nicht in ihrem Blickfeld lagen.
Stille...
Komisch. Man merkte
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