Der Rote Tod
nicht fähig.
Er war mit seiner Maske zufrieden. Seine Uhr hatte er vor den Spiegel gelegt. Er schaute kurz auf das Zifferblatt und nickte sich abermals zu.
Er war perfekt in der Zeit. Noch mehr als 30 Minuten, dann erst würde sich der Vorhang heben.
Etwas unsicher war er, was seine Familie, die gleichzeitig Tarnung war, anging. Gertrud wusste jetzt Bescheid, und auch seiner Tochter konnte nicht verborgen bleiben, was sich hinter der eigentlichen Maske des Menschen verbarg.
Das Tier, der Teufel, das Böse...
Wenn Frau und Tochter nicht mitspielten, hatten sie Pech gehabt. Wahrscheinlich würde es sich noch in dieser Nacht entscheiden. Der Gedanke daran ließ ihn grinsen, und er schaute auf seine Hände, deren Finger jetzt wie Greifer aussahen. Er träumte davon, sie bald wieder um den Hals eines Menschen legen zu können und zuzudrücken.
Mit Puder tupfte er sich ab.
Da klopfte es.
Verdammt, das sollte nicht passieren. Er würde den Menschen auch nicht hereinbitten, aber der Besucher kümmerte sich nicht darum. Er öffnete die Tür, ohne eine Antwort erhalten zu haben.
Richard Kohler brauchte sich nicht umzudrehen, er schaute in den Spiegel und sah die Person, die eintrat.
Es war eine Frau!
Im ersten Moment wusste er nicht, wie er sie einstufen sollte. Gesehen hatte er die Frau mit den braunen Haaren schon, die ein Kostüm trug, das recht zerknittert war. Einen freundlichen Eindruck machte sie nicht, als sie die Tür hinter sich schloss.
»Sie kennen mich, Herr Kohler?«
Richard war die Aggressivität in der Frage nicht entgangen. Er gab die Antwort, ohne sich zu drehen. Der Blick in den Spiegel reichte ihm nach wie vor.
»Jaaa...«, sagte er gedehnt, »ich glaube schon, mich an sie erinnern zu können.«
»Bevor Sie Ihr Gehirn zu sehr anstrengen, sage ich Ihnen, dass ich Hauptkommissarin Ulrike Dom bin.«
»Natürlich, ich erinnere mich jetzt. Sie sind diejenige Person, die die Mordfälle bearbeitet.«
»Genau.«
»Und warum kommen Sie zu mir? Ich habe in einer halben Stunde Vorstellungsbeginn. Da kann ich keine Störung vertragen. Künstler sind keine Beamten. Ich muss mich auf meine Rolle konzentrieren und...«
»Auf den Teufel!«
»Sie sagen es, Frau Dorn.«
Die Kripofrau zog einen Stuhl heran und nahm Platz. Sie setzte sich links von Richard Kohler. Wenn er sie jetzt normal anschauen wollte, musste er sich drehen.
»Macht Ihnen die Rolle Spaß?«
»Sie ist großartig.«
»Sie fühlen sich wohl?«
»Kann man so sagen. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte, dass es die Rolle meines Leben ist.«
»Das denke ich mir auch.«
Kohler wies auf seine Uhr. »Bitte, ich sagte Ihnen schon, dass ich keine Störung vertrage, auch von der Polizei nicht. Ich weiß nicht, was Ihre Fragen sollen, es gibt zwischen uns keine Gemeinsamkeiten. Deshalb möchte ich Sie bitten, meine Garderobe zu verlassen, wobei ich überhaupt nicht weiß, weshalb Sie gekommen sind.«
»Das will ich Ihnen sagen.«
»Gern, ich höre.«
Die Selbstsicherheit des Mannes gefiel Ulrike Dorn nicht. Er gab sich gelassen, zeigte keine Schwäche und verwunderte sie. War er wirklich so von sich überzeugt, oder zeigte er ihr ein Schauspiel? Letztendlich war das sein Beruf.
Ulrike Dom war etwas durcheinander gekommen. Sie musste sich wieder fangen, was ihr auch gelang. Mit normal fester Stimme sagte sie: »Ich bin gekommen, um Sie zu verhaften, Herr Kohler.«
Natürlich, seine Reaktion war typisch. Er gab sich nicht erstaunt, er blieb sehr ruhig, und er schüttelte nur den Kopf, während er zugleich lächelte.
»Sagen Sie das noch mal.«
»Ich denke nicht, dass ich meine Worte wiederholen muss. Sie haben mich schon verstanden.«
»Das trifft zu. Nur wundere ich mich darüber, ich sehe keinen Grund für eine Verhaftung. Wessen klagen Sie mich an.«
»Mord!«, erklärte Ulrike Dorn mit harter Stimme. »Ich klage Sie wegen dreifachen Mordes an.«
Er blieb noch immer amüsiert. »Und wo, bitte, soll ich die Morde begangen haben?«
»Hier in Göttingen.«
»Gut. Darf ich weiter überlegen?«
»Bitte.«
»Dann gehen Sie also davon aus, dass ich, so wie ich vor ihnen sitze, der Rote Tod bin?«
»Das stimmt.«
»Sie werden lachen, Frau Dorn...«
»Bestimmt nicht.«
»Doch, das werden Sie, wenn Sie hören, was ich ihnen jetzt sage. Gratuliere, Sie haben Recht mit Ihrer Behauptung. Denn ich bin tatsächlich der Rote Tod...
***
Eine Frau wie Ulrike Dorn hatte in ihrer Laufbahn schon viel erlebt und einige
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