Der Rote Tod
Mörder gestellt, sonst hätte sie nicht so schnell Karriere machen können, Ihr war noch nie vorgekommen, dass ihr jemand ein Geständnis so lächelnd ins Gesicht gesagt hatte, und sie merkte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich.
Sie hatte schon zahlreiche Killer verhört, doch nun fehlten ihr einfach die Worte.
Das stellte auch Richard Kohler fest. Nach einem kurzen Blick auf seine Uhr lachte er. »Warum sagen Sie nichts, Frau Dom? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Soll ich mein Geständnis noch mal wiederholen? Geht es Ihnen dann besser?«
»Nein, nein, das nicht«, murmelte sie, »das nicht...«
Kohler räusperte sich. »Es ist Ihnen doch klar, dass ich etwas tun muss. Ich kann Sie mit Ihrem Wissen nicht länger leben lassen. Das heißt, diese Garderobe hier wird zugleich Ihr Sterbeort werden. Tja, Pech für Sie.«
Ulrike Dorn wollte aufstehen, das schaffte sie jedoch nicht mehr denn sie wurde einfach in den Bann dieses Mannes gezogen, der sie mit seinen Augen anstarrte.
Das war nicht alles, denn die Augen blieben nicht so, wie sie waren. Sie bekamen einen anderen Ausdruck, und der wirkte wie ein Füllmaterial, das aus den hinteren Regionen seines Kopfes nach vorn drückte.
Rot – dunkelrot!
Blut...
In diesem Augenblick wurde Ulrike Dorn mit aller Deutlichkeit bewusst, dass sie einen Fehler begangen hatte, allein zu dieser Person zu gehen. Das Blut in deren Augen dokumentierte, dass sie es mit keinem normalen Menschen zu tun hatte. Für sie war Kohler nur noch eine Hülle, denn welcher Mensch besaß blutige Augen?
Und was er ihr prophezeit hatte, würde er auch in die Tat umsetzen.
Wehr dich! Tu was!
Die innere Stimme ließ sich nicht aufhalten, und Frau Dorn tat genau das, was ihr diese Stimme sagte.
Sie wehrte sich.
Sie griff zur Waffe.
Es war ihr Pech, dass sie saß und nicht stand. Im Stehen hätte sie die Pistole schneller ziehen können, so aber war sie durch ihre Haltung leicht behindert, und das kostete sie Zeit.
Kohler war schneller.
Sie sah förmlich, wie er sich von seinem Stuhl löste und auf sie zuflog. Blutige Augen, ein verzerrtes Gesicht, vorgestreckte Arme und Hände, die auf die Kehle der Frau zielten – und sie auch zu fassen bekamen.
Die Hand hatte die Waffe gerade mal berührt, als er zugriff. Die Wucht schleuderte Ulrike Dom mitsamt dem Stuhl nach hinten. Sie schlug gegen den harten Garderobenboden, prallte mit dem Hinterkopf auf und riss die Arme in die Höhe, um den Griff der verdammten Klauen zu sprengen.
Das schaffte sie nicht.
Die Klammer war zu hart.
Und die Spitzen der Finger kamen ihr wie Eisenstäbe vor, die in ihre Haut eindrangen.
Verzweifelt schnappte sie nach Luft. Ohne Erfolg. Der Griff lockerte sich nicht, denn der Rote Tod legte all seine Kraft in ihn hinein. Er kniete auf und über ihr. In seinem Gesicht bewegte sich nichts, als er nach unten auf ihren Körper schaute. In den Augen schimmerte weiterhin die Blutfüllung, mehr war nicht zu sehen.
Irgendwann war es vorbei.
Da zuckte die Frau auch nicht mehr. Ihr Körper war schlaff geworden. Kein Lebenszeichen...
Der Rote Tod drückte trotzdem noch länger zu, bis er ganz sicher war. Erst dann erhob er sich. Er schaute auf die Tote und hatte die Mundwinkel verzogen. So wie er sah jemand aus, der ausspucken wollte. Das allerdings ließ er bleiben.
Mit diesem Mord hatte er nicht gerechnet. Er war nicht einkalkuliert worden, und sehr viel Zeit bis zum Auftritt blieb ihm nicht mehr. Eine Tote in der Garderobe war nicht gut. Zumindest dann nicht, wenn sie offen herumlag.
Zum Glück gab es den kleinen Schrank an der Schmalseite des Raums. Es war ein Spind aus Metall. Es stand offen, und der Rote Tod holte zunächst sein Kostüm aus ihm hervor. Es war dieser lange Umhang, den er auch auf der Bühne trug.
Danach war Platz genug für die Tote.
Er schleifte den leblosen Körper zum Schrank und drückte ihn hinein.
Dann schloss er die Tür und drehte den Schlüssel im kleinen Vorhängeschloss zweimal herum. Dass die Tür nicht ganz zugefallen war und das Gewicht der Toten sie nach vorn drückte, daran konnte er nichts ändern. Aber von der Frau war nichts mehr zu sehen, und auch ihre Handtasche hatte er in den Schrank gestopft.
Er war zufrieden.
Das Stück konnte beginnen...
***
Der Portier am Bühneneingang des Theaters war ein älterer freundlicher Mann mit einem grauen Oberlippenbart und Augen, die immer zu lächeln schienen, als gäbe es nichts Böses auf der Welt. Er kannte alle Mitarbeiter
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