Der Rote Wolf
dem zuständigen Sachbearbeiter in Verbindung setzen«, sagte er und zeigte auf den Namen unter dem Dokumentdatum.
Sie blätterte weiter, eine Zeit lang waren in dichter Folge solche Stellungnahmen eingegangen. Dann kam sie zu dem Blatt mit der Übersicht über die letzten Tage.
Registrierungsdatum: 18. November.
Absender: Herman Wennergren.
Betreff: Anfrage für einen Gesprächstermin zur Diskussion einer wichtigen Angelegenheit.
»Was ist das?«, sagte Annika und legte dem Mann das Blatt hin, der es sich schweigend durchlas.
»Eine Mail«, sagte er. »Eingegangen Dienstagabend und gestern registriert.«
»Ich würde gern wissen, was in dieser Mail steht«, sagte sie.
Er zuckte mit den Schultern.
»Dabei kann ich Ihnen nicht behilflich sein, dazu müssen Sie mit dem zuständigen Ministerialbeamten sprechen. Brauchen Sie sonst noch etwas?«
Sie wandte sich ab und blätterte eigenartig erregt weiter.
Was wollte der Aufsichtsratsvorsitzende des
Abendblatts
plötzlich am Dienstagnachmittag mit der Kultusministerin besprechen?
Sie verdrängte ihr ungutes Gefühl.
Absender: anonym.
Betreff: Zeichnung eines gelben Drachen. Beschluss: ad acta.
Sie las sich die Zeilen noch einmal durch.
»Was ist denn das hier?«, sagte sie, lehnte sich vor und zeigte auf die Zeile, während der Mann seine Brille wieder aufsetzte und hinsah.
»Ein anonymer Brief«, sagte er. »Davon bekommen wir ziemlich viele. Vor allem Zeitungsausschnitte oder etwas verwirrte Schreiben.«
»Auch viele gelbe Drachen?«
Er lachte auf.
»Eher weniger.«
»Wo befinden sich diese anonymen Briefe?«
»Die sammle ich hier bei mir, in einem eigenen Karton.«
Der Registratur nahm seine Brille ab und streckte sich nach einer braunen Mappe mit der Aufschrift »Regierungssitz, anonyme Schreiben«, öffnete sie und holte den obersten Brief heraus.
»Wir verwahren sie nach Jahrgängen geordnet in Kartons, und zwar fünf Jahre hier oben, bevor sie anschließend ins Zentralarchiv wandern. Jeder Umschlag wird auf der Rückseite abgestempelt.
Er hielt das kleine Kuvert in seiner Hand und ließ sie lesen.
Es war am 31. Oktober abgestempelt worden.
»Was enthält es?«
»Ich glaube, das war der Drache.«
Er zog ein Blatt heraus, faltete es auseinander und zeigte es Annika.
»Ich begreife nicht, warum der Absender uns die Zeichnung geschickt hat«, meinte er, »aber vielleicht lässt es sich ja im weitesten Sinne des Wortes als Kunst bezeichnen.«
Es war tatsächlich ein kleiner Drache mitten auf einem weißen Blatt, gezeichnet mit zittriger Hand und mit gelber Tusche koloriert.
In Annikas Kopf machte es klick.
Einen ähnlichen Drachen hatte sie kürzlich schon einmal gesehen, aber wo?
»Kann ich hiervon eine Kopie haben?«, fragte sie.
Während der Mann in den Korridor hinausging, um das Blatt zu kopieren, sah sich Annika den Umschlag an, in dem der Drache gelegen hatte. Adressiert an die Kultusministerin Karina Björnlund, Stockholm, La Suede.
Sie sah sich die Briefmarke genauer an.
Abgestempelt in Paris, le 28 Octobre.
Ragnwald hatte die letzten dreißig Jahre im französischen Teil des Baskenlands gelebt. Vielleicht gab es da einen Zusammenhang. Aber wo hatte sie nur die Zeichnung schon einmal gesehen?«
Sie schloss die Augen und durchforstete ihr Gedächtnis. Dann öffnete sie wieder die Augen und horchte, ob der Registrator zurückkam. Sie hörte, dass er sich im Korridor mit jemandem unterhielt, sah sich im Zimmer um und entdeckte einen kleinen Post-it-Zettel am unteren Rand seines Bildschirms.
Leise schlich sie zum Computer, beugte sich hinunter und kniff die Augen zusammen.
Karina Björnlunds Durchwahl, eine Nummer unter der Zentrale des Ministeriums, dann das Wort Handy, gefolgt von einer Nummer.
Sie starrte die Zahlenfolge an: 666 66 60. Zweimal die Zahl des Teufels und dann eine Null.
War das nur ein Zufall, oder sagte ihr das was über Karina Björnlund?
»Kann ich Ihnen sonst noch behilflich sein?« Annika schreckte zusammen, drehte sich um und blinzelte verlegen.
»Später vielleicht«, sagte sie und nahm den Blätterstapel entgegen, zehn Jahre eingegangener Briefe an die Leiterin des Kultusministeriums.
Erleichtert floh sie zu den Aufzügen.
Mehmet stand im Türrahmen zu Anne Snapphanes Büro, und es war nicht zu übersehen, dass er innerlich vor Wut kochte. Dennoch reagierte Anne wie im Reflex erfreut auf seinen Anblick.
»Wir müssen unseren Streit aus der Welt schaffen«, sagte er, »und zwar jetzt, ehe sich
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