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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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lächeln.
    »Karina war an dem Abend also gar nicht dabei?«
    »Sie hatte mit Ragnwald Schluss gemacht und wollte die Gruppe verlassen.
    Margit war sehr wütend auf sie, weil sie das als einen Verrat empfand. Loyalität ist für Margit unglaublich wichtig.«
    Im Wohnzimmer schlug eine Uhr. Annika dachte an die Anzeige in der
Norrlands-Tidningen.
Warum kündigt man eine Hochzeit öffentlich an, wenn man gar nicht vorhat zu heiraten?
    Vorsichtig sah sie den Mann an und dachte an die enorme Bürde, die Mann und Frau gemeinsam getragen hatten und die nun ganz allein auf ihm lastete.
    »Wie lange hat es gedauert, bis Margit Ihnen das alles erzählt hat?«, fragte sie leise.
    »Sie hat es mir gebeichtet, als sie schwanger wurde«, sagte Thord Axelsson.
    »Das Kind war nicht gewollt, sie hatte vergessen, die Pille zu nehmen. Aber als es einmal passiert war, haben wir uns beide sehr gefreut. Doch eines Abends, als ich nach Hause kam, weinte sie und konnte gar nicht mehr aufhören. Es dauerte den ganzen Abend, es aus ihr herauszubekommen. Sie dachte, ich würde sie anzeigen, sie und das Kind verlassen.«
    Er verstummte.
    »Aber das haben Sie nicht getan«, stellte Annika fest. »Hanna hat auf F21
    gedient«, sagte Thord. »Sie ist Offizierin der Reserve und studiert Atomphysik in Uppsala.« »Sie haben noch eine Tochter?«
    »Emma wohnt im gleichen Studentenwohnheim wie Hanna und studiert Politik.«
    »Es ist Ihnen gut ergangen«, sagte Annika aufrichtig. Er sah aus dem Fenster.
    »Das stimmt schon«, meinte er. »Aber die wilden Tiere sind immer bei uns gewesen. Margit hat jeden Tag an das gedacht, was sie getan hatte. Sie konnte der Vergangenheit nie entfliehen.«
    »Und Sie gingen jeden Tag zur Arbeit und wussten, was passiert war.«
    Er nickte nur.
    »Aber warum ist sie nicht zur Polizei gegangen?«, fragte Annika. »Wäre es nicht besser gewesen, sie hätte all das nicht mehr allein mit sich herumschleppen müssen?«
    Der Mann stand auf.
    »Wenn sie das doch nur gekonnt hätte«, sagte er mit dem Rücken zu Annika.
    »Nachdem der Drache verschwunden war, bekam Margit ein Paket mit der Post.
    Es war ein Finger darin, ein Menschenfinger von einem kleinen Kind, zusammen mit einer Warnung.«
    Annika stöhnte auf, wurde leichenblass und dachte, sie würde ohnmächtig werden.
    »Kein Mensch hat jemals ein Wort über die wilden Tiere verloren. Margit hat all die Jahre nichts mehr von ihnen gehört, bis Oktober.«
    »Was ist passiert?«, flüsterte Annika.
    »Sie bekam eine Einladung, eine Zeichnung des gelben Drachen, durch die sie aufgefordert wurde, zum alten Treffpunkt der Gruppe zu kommen.«
    Annika sah plötzlich die seltsame Zeichnung in der Post der Kultusministerin vor sich, die in einem in Frankreich abgestempelten Briefumschlag gekommen war.
    »Ein Treffen«, sagte sie. »Wann sollte es stattfinden?«
    Thord Axelsson schüttelte den Kopf, ging zur Spüle, nahm ein Glas in die Hand.
    »Kurz darauf haben sie Kontakt zu ihr aufgenommen. Einer von ihnen hat sie auf der Arbeit angerufen und gefragt, ob sie zu dem Treffen kommen würde, um die Rückkehr des Drachen zu feiern. Margit hat sie aufgefordert, zur Hölle zu fahren, und dem Anrufer gesagt, die wilden Tiere hätten ihr ganzes Leben zerstört und dass es ihr Leid tue, die anderen je getroffen zu haben.«
    Seine Schultern bebten.
    »Danach hörte sie nichts mehr von ihnen.«
    Annika sah den Mann, das Glas an die Stirn gepresst, weinen.
    »Ich will, dass sie geschnappt werden«, sagte er schließlich und wandte sich wieder Annika zu. Sein Gesicht war rot und verquollen.
    Schwer ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und blieb eine Weile still sitzen, während die Uhr tickte und der Geruch von Putzmitteln immer stärker zu werden schien.
    »Margit hat sich nie von ihrer Schuld befreien können«, sagte er. »Sie hat ihr ganzes Leben lang dafür gebüßt. Ich halte das einfach nicht mehr aus.«
    »Haben Sie es der Polizei gesagt?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Aber ich habe es vor«, erklärte er. »Sobald der Drache verhaftet ist und die Mädchen in Sicherheit sind.« »Was erwarten Sie von mir?«, fragte sie. Er betrachtete sie ausdruckslos.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich wollte es einfach jemandem erzählen.«
    Er sah aus dem Fenster und erstarrte.
    »Hanna und Emma kommen zurück. Sie müssen jetzt gehen.«
    Annika stand abrupt auf, stopfte Block und Stift in die Tasche und eilte in den Flur hinaus, riss die Jacke vom Bügel und schlüpfte hinein.

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