Der Rote Wolf
stehende Menschen.«
Göran Nilsson stöhnte auf dem Boden und bewegte unruhig das linke Bein.
Annika und die Kultusministerin sahen ihn ausdruckslos an.
»Er hat mich verfolgt«, sagte Karina Björnlund. »Eines Abends stand er vor meinem Haus in Knivsta. Am Tag darauf sah ich ihn in Uppsala im Kaufhaus.
Und letzten Freitag bekam ich einen weiteren Brief.«
»Eine weitere Warnung?«
Die Ministerin schloss die Augen.
»Es war eine Zeichnung von einem Hund und einem Kreuz. Ich ahnte, was das bedeuten sollte, wagte aber nicht, es in aller Deutlichkeit zu verstehen.«
»Dass Margit tot war?«
Karina Björnlund nickte.
»Wir hatten schon lange keinen Kontakt mehr, aber ich konnte die ganze Nacht keine Ruhe finden, und am nächsten Morgen habe ich dann Thord angerufen. Er hat mir von dem Mord an Margit erzählt, und ich habe sofort begriffen, entweder komme ich her, oder ich sterbe auch. Also bin ich gekommen.«
Sie blickte zu Annika auf und ließ den Pullover von der Nase sinken.
»Wenn Sie wüssten, wie viel Angst ich hatte«, sagte sie. »Wie sehr ich gelitten habe. Mich tagtäglich davor zu fürchten, dass irgendwer alles herausfinden könnte, das hat mein Leben vergiftet.«
Annika sah sie an, die mächtige Frau in ihrem Pelzmantel, das Mädchen, das ihrer Kusine erst zum Sport und dann in die Politik gefolgt war, dort die Geliebte des Führers wurde, des starken charismatischen Mannes, mit dem sie dann jedoch Schluss machte, als er seine Position verloren hatte.
»TV Scandinavia auszuschalten, um alles unter den Teppich zu kehren, war ein Riesenfehler«, sagte sie.
Karina Björnlund sah aus, als hätte sie nicht ganz begriffen, was sie da gerade gehört hatte. Es wurde still im Raum.
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte sie schließlich.
»Ich habe die Mail, die Sie von Herman Wennergren bekommen haben, und ich weiß, warum Sie die Gesetzesvorlage geändert haben.«
Die Kultusministerin stemmte sich hoch und war mit drei schnellen Schritten bei Annika. Ihre verquollenen Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt.
»Sie miese kleine Boulevardreporterin«, sagte sie und blieb mit ihrem blutverschmierten Gesicht unmittelbar vor Annika stehen. »Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?«
Annika wich nicht zurück und begegnete ihrem blutunterlaufenen Blick.
»Das wissen Sie doch, oder?«, erwiderte sie. »Wir haben schon einmal miteinander gesprochen. Das ist jetzt lange her, fast zehn Jahre.«
»Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Ich nahm damals Kontakt zu Ihnen auf, weil ich einen Kommentar zu Christer Lundgrens Reise nach Tallinn haben wollte. Ich erzählte Ihnen, was mit dem verschwundenen Archiv des IBs passiert war, behauptete, die Regierung lasse sich dazu erpressen, illegale Waffenexporte zu genehmigen, und bat Sie, meine Fragen an den Außenhandelsminister weiterzuleiten. Sie aber gingen nicht zu ihm, Sie gingen zum Premierminister, stimmt's?«
Karina Björnlund war während Annikas Worten leichenblass geworden und starrte die Reporterin an, als hätte sie ein Gespenst vor Augen.
»Das waren Sie?«, sagte sie.
»Sie haben die Information benutzt, um an einen Ministerposten zu kommen, nicht wahr?«
Das Gesicht der Kultusministerin bekam plötzlich wieder Farbe.
»Was erlauben Sie sich?«, schrie sie. »Dafür werde ich Sie verklagen.«
»Ich stelle doch nur eine Frage«, sagte Annika. »Warum regen Sie sich denn so auf?«
»Wie können Sie mir nur etwas derart Widerwärtiges unterstellen? Ich soll den Premierminister in Harpsund angerufen und ihn gezwungen haben, mich zur Ministerin zu ernennen?«
»Aha«, meinte Annika. »Dann haben Sie ihn also draußen in Harpsund erreicht?
Und wie hat er reagiert? Wurde er rasend vor Wut? Oder ist er wirklich so pragmatisch und rational veranlagt, wie immer gesagt wird?«
Karina Björnlund verstummte, ihre Augen schienen aus den Höhlen zu quellen.
Im nächsten Moment wurde die Stille zerrissen. Yngves leere Wodkaflasche schlug auf dem Betonboden auf und zersprang in tausend Stücke. Der Alkoholiker rutschte bewusstlos an der Wand herunter und sackte auf dem Boden in sich zusammen.
Annika lief zu ihm.
»Hallo«, rief sie und schlug ihm mit dem Skihandschuh leicht auf die Wange.
»Hoch mit dir!« Der Mann blinzelte. »Was?«, sagte er.
Sie riss ihre Jacke auf, griff dem Mann unter die Arme und hievte ihn auf die Beine.
»Du musst mich umarmen«, sagte sie, legte die Polarjacke um Yngve und schlang die Arme um seinen Rücken.
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