Der Rote Wolf
aufschneiden«, sagte der Mann. »Das kann ein bisschen dauern. Wie viele sind Sie?«
»Vier«, antwortete Annika, »aber ich glaube, dass ein Mann gestorben ist. Ein anderer ist gerade dabei, einzuschlafen, ich kann ihn nicht mehr lange wach halten. Beeilen Sie sich!«
»Ich gehe Werkzeug holen«, sagte die Stimme, woraufhin sich Karina Björnlund zu Wort meldete.
»Nein!«, rief die Ministerin. »Lassen Sie mich nicht allein! Ich muss hier raus, sofort!«
Annika tastete sich zu Yngve vor, der auf der Erde lag und stoßweise atmete. Sie streichelte seine strohigen Haare, biss die Zähne zusammen, legte sich auf die Erde, zog den Mann auf sich und schlang die Polarjacke um sie beide.
»Stirb nicht«, flüsterte sie und wiegte ihn wie ein Kind.
So blieb sie liegen, bis sie hörte, wie der Schneidbrenner das Vorhängeschloss öffnete, die Tür aufgeschlagen wurde und das Licht eines Scheinwerfers ihr direkt in die Augen schien.
»Nehmen Sie ihn zuerst«, sagte Annika. »Ich glaube, er gibt langsam auf.«
Im nächsten Moment wurde der Mann von ihr weg auf eine Trage gehoben und war binnen weniger Sekunden aus ihrem Blickfeld verschwunden.
»Wie geht es Ihnen? Können Sie aufstehen?«
Sie blinzelte ins Licht und sah nur die Silhouette eines großen Polizisten.
»Ich bin okay«, sagte sie und stand auf.
Kriminalinspektor Forsberg sah sie forschend an.
»Wir werden Sie wohl zur Beobachtung ins Krankenhaus bringen müssen«, meinte er. »Wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen, würde ich mich später im Präsidium gern mit Ihnen unterhalten.«
Annika nickte und konnte plötzlich nicht mehr sprechen. Stattdessen zeigte sie auf Göran Nilsson und merkte, dass ihre Hand zitterte.
»Sie zittern ja schon vor Kälte«, meinte Forsberg.
»Ich glaube, er ist gestorben«, flüsterte sie.
Die Rettungssanitäter kehrten zurück, gingen zu Göran Nilsson und überprüften Puls und Atmung.
»Ich glaube, er hat sich das Bein gebrochen«, sagte Annika. »Außerdem ist er krank, er hat gesagt, dass er bald sterben wird.«
Sie legten ihn auf eine Trage und schafften ihn rasch aus dem Haus.
Karina Björnlund trat, auf einen Sanitäter gestützt, aus den Schatten. Sie war in Tränen aufgelöst, ihre Nase blutete immer noch.
Annika sah sie an, und die Ministerin erwiderte ihren Blick.
Karina Björnlund trat dicht an sie heran und flüsterte so leise, dass kein anderer es hören konnte.
»Ich werde selbst alles erzählen«, sagte sie. »Vergessen Sie Ihre Exklusivstory.«
Daraufhin ging die Ministerin zu den Scheinwerfern, Streifenwagen und Krankenwagen hinaus.
Kriminalinspektor Forsberg hatte ein enges und unaufgeräumtes Büro im zweiten Stock der gelbbraunen Blechbaracke des Präsidiums. Annika war in einem der Besuchersessel eingedöst und schreckte hoch, als die Tür aufflog.
»Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten. Ohne Milch und Zucker«, sagte der Polizist, stellte einen kochend heißen Plastikbecher vor ihr auf den Schreibtisch und setzte sich anschließend auf seinen Schreibtischstuhl.
Annika griff nach dem Becher und verbrannte sich die Handflächen, pustete auf das Getränk und schlürfte vorsichtig.
Automatenkaffee der übelsten Sorte.
»Ist das ein Verhör?«, fragte sie und stellte den Becher wieder ab.
Forsberg wühlte, ohne aufzublicken, in einer Schublade.
»Vernehmung eines Zeugen könnte man es wohl eher nennen. Wo zum Teufel habe ich es nur hingelegt? Ah, da ist es ja!«
Er zog ein kleines Tonbandgerät und eine Menge Kabel heraus, richtete sich auf, sah ihr in die Augen und lächelte.
»Sie frieren nicht so leicht«, meinte er und ließ sie nicht aus den Augen.
Sie sah zur Seite.
»Oh doch«, erwiderte sie. »Aber ich habe irgendwann mal gelernt, mich richtig anzuziehen. Was ist mit den anderen?«
»Ragnwald ist tot, genau wie Sie vermutet hatten. Yngve Gustafsson liegt auf der Intensivstation, seine Körpertemperatur war auf 28 Grad gefallen. Aber er kommt durch. Wussten Sie eigentlich, dass er der Vater von Linus ist, dem Jungen, der ermordet wurde?«
Annika sah zu dem Polizisten auf, hatte einen Kloß im Hals, schüttelte den Kopf.
»Und Karina Björnlund?«, sagte sie.
»Pflaster im Gesicht, Erfrierungen an den Füßen. Was ist da draußen eigentlich passiert?«
Er lehnte sich vor und schaltete das Tonbandgerät ein. »Sollen wir richtig loslegen?«, fragte sie.
Er sah sie einen Moment nachdenklich an und suchte anschließend die Angaben zu ihrer Person
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