Der Rote Wolf
Dampf aus.
Wie viel war es? Sie streifte die Handschuhe ab und blätterte mit dem Finger in dem Stapel, es waren neue Scheine, nicht benutzt, mindestens hundert Stück.
Einhundert Hunderteuroscheine.
Zehntausend Euro, fast hunderttausend schwedische Kronen.
Sie zog die Handschuhe wieder an, bückte sich und bekam zwei weitere Bündel zu fassen.
Dann faltete sie die Ränder des Seesacks auseinander und betrachtete staunend und atemlos den Inhalt.
Der Sack enthielt Hunderte Bündel von Euroscheinen.
Sie versuchte zu schätzen, wie viele Schichten von Geldscheinen da vor ihr lagen.
Viele. Unglaublich viele.
Doch dann wurde ihr schlecht.
Das Erbe des Henkers für seine Kinder.
Ohne weiter darüber nachzudenken, riss sie den Sack auf und schüttete das Geld in den Kofferraum ihres Mietwagens.
Die Glastüren des Stadthotels glitten mit einem zischenden Geräusch auf.
Annika trat unter die Kristallleuchter und blinzelte in dem hellen Licht.
»Ich glaube, sie ist gerade zur Tür hereingekommen«, sagte die Frau an der Rezeption in einen Hörer. »Annika Bengtzon?«
Annika sah zu der jungen Frau hinüber.
»Sie sind doch Annika Bengtzon vom
Abendblatt,
oder? Wir sind uns begegnet, als Sie vor zwei Wochen hier waren. Ihr Chef ist am Apparat.«
»Welcher?«
Die Frau lauschte.
»Anders Schyman«, rief sie durch die Lobby.
Annika schob den Riemen ihrer Tasche auf die Schulter und ging zur Rezeption.
»Richten Sie ihm bitte aus, dass ich ihn von meinem Zimmer aus anrufe, ich will nur schnell einchecken.«
Zehn Sekunden Stille.
»Er sagt, er möchte Sie jetzt sprechen.«
Annika streckte die Hand nach dem Hörer aus.
»Was wollen Sie?«
Ihr Chefredakteur klang zerknirscht, als er das Wort ergriff.
»Die Nachrichtenagenturen haben soeben gemeldet, dass die Polizei in Lulea eine dreißig Jahre alte Terroristenzelle gesprengt hat. Es heißt, der Anschlag auf eine Maschine des Typs Drache auf F21 sei aufgeklärt, ein international gesuchter Profikiller sei tot aufgefunden worden und man fahnde nach einem unter Mordverdacht stehenden Terroristen, der noch auf freiem Fuß ist.«
Annika schielte zur neugierig blickenden Empfangsdame hinauf, kehrte ihr den Rücken zu und zog die Schnur so lang, wie es eben ging.
»Oh«, sagte sie.
»Hier steht weiter, dass Sie dabei waren, als der Profikiller starb, und mit einem Teil der Terroristen gefangen gehalten wurden. Dass Kultusministerin Karina Björnlund eine von ihnen war und Sie die Polizei alarmiert haben, sodass die Terroristen überhaupt gefasst werden konnten.«
Annika verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere.
»Na, so was«, sagte sie.
»Was machen Sie morgen?«
Sie schielte über die Schulter hinweg zu der Frau an der Rezeption und entnahm ihrem goldenen Namensschild, dass sie Linda hieß.
Linda sortierte Blätter von einem Stapel auf einen zweiten und versuchte den Eindruck zu erwecken, sie würde nicht zuhören.
»Nichts natürlich«, sagte sie. »Ich darf mich ja nicht mit dem Thema Terrorismus beschäftigen, das war doch eine ausdrückliche Anweisung. Ich werde Ihren Befehlen natürlich Folge leisten.«
»Ja, schon gut«, sagte der Chefredakteur. »Aber was werden Sie schreiben? Wir haben die Zeitung bis zur Mitte für Sie freigehalten.«
Sie biss die Zähne zusammen.
»Keine einzige Zeile, jedenfalls nicht im
Abendblatt.
Ich habe jede Menge Material, aber da Sie mir verboten haben, es zusammenzutragen, werde ich es selbstverständlich nicht verwenden.«
Sie lauschte seinem verblüfften Schweigen.
»Jetzt seien Sie nicht dumm«, sagte er dann. »Das ist eine grobe Fehleinschätzung von Ihnen.«
»Entschuldigen Sie mal«, erwiderte sie, »aber wer hat denn die Situation falsch eingeschätzt?«
Es wurde still in der Leitung. Sie wusste, dass der Chefredakteur gegen den Impuls ankämpfte, sie zur Hölle zu wünschen und den Hörer auf die Gabel zu knallen, aber angesichts eines umfangreichen Nachrichtenteils, der gefüllt werden musste, konnte er sich das nicht leisten.
»Ich wollte gerade ins Bett«, sagte sie deshalb. »War sonst noch was?«
Anders Schyman wollte etwas sagen, überlegte es sich dann jedoch anders.
»Ich habe heute eine gute Nachricht erhalten«, meinte er schließlich und versuchte verbindlich zu klingen. Sie schluckte ihre Verachtung herunter. »So?«, sagte sie.
»Ich werde neuer Vorsitzender des Verbands der schwedischen Zeitungsverleger.«
»Gratuliere.«
»Ich dachte mir, dass Sie das freuen würde«,
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