Der Rote Wolf
schaukeln. Sie packte das Lenkrad fester.
»Könnte sein«, sagte sie. »Die Kollegen an seinem Arbeitsplatz wurden gestern über seinen Tod informiert, da wäre es schon verwunderlich, wenn sie in ihrer eigenen Zeitung nichts darüber bringen würden.«
Vorsichtig ließ sie den Wagen auf die Hauptverkehrsstraße rollen.
»Hat man den Schuldigen gefasst?«
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete sie und hörte sich dann selbst sagen: »Ich dachte, ich schaue mir diesen Todesfall heute mal etwas genauer an.«
»Warum denn das?«, fragte Spiken. »Er war doch bestimmt nur besoffen und auf dem Heimweg?«
»Vielleicht«, erwiderte Annika. »Aber er war auch gerade dabei, ein paar Dinge zu enthüllen. In der letzten Freitagsausgabe hat er verdammt kontroverse Informationen drucken lassen.«
Von denen ich weiß, dass sie nicht zutreffen, dachte sie und biss sich auf die Lippe.
Spiken seufzte.
»Nur keine Märchen bitte«, sagte er und beendete das Gespräch.
Annika parkte vor dem Hoteleingang, ging auf ihr Zimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Das Zimmermädchen war in der Zwischenzeit da gewesen, hatte das Bett gemacht und so die Spuren ihrer grauenvollen Nacht ausgelöscht. Sie hatte furchtbar schlecht geschlafen und war in kalten Schweiß gebadet und mit Kopfschmerzen aufgewacht. Die Engel hatten die ganze Nacht über im Chor lauter und leiser werdende Melodien für sie gesungen. Wenn sie nicht zu Hause schlief, waren sie besonders ausdauernd.
Sie schob sich das Kissen hinter den Kopf, streckte sich nach dem Telefon auf dem Nachttisch, setzte es auf ihrem Bauch ab und wählte Thomas' Durchwahl beim Gemeindetag.
»Er ist zu Tisch«, erklärte seine schlecht gelaunte Sekretärin.
Annika kroch unter die Decke und schlief ein.
Sonnenscheinlilie Zuckerblumen, Diamanten der Mühsal, oohhh ooohhh, liebenswerte …
Ich kann jetzt einfach nicht dagegen ankämpfen, dachte sie und ließ sich von den seltsamen Worten in den Schlaf wiegen.
Als sie mit einem Ruck wieder aufwachte, wusste sie für einen Moment nicht, wo sie war. Kinn und Hals waren nass, und sie bemerkte angeekelt, dass es ihr eigener Speichel war. Die Kleider klebten unangenehm am ganzen Körper, in ihrem linken Ohr hörte sie ein nicht enden wollendes Pfeifen. Unsicher stand sie auf und ging ins Bad, um zu pinkeln. Als sie ins Zimmer zurückkam, bemerkte sie, dass es draußen fast völlig dunkel war. In Panik sah sie auf ihre Armbanduhr, aber es war erst Viertel nach drei. Sie trocknete sich den Hals mit einem Handtuch ab, sah nach, ob alles, was sie brauchte, in der Tasche war, und verließ das Zimmer.
An der Hotelrezeption bekam sie einen Stadtplan, auf dem Svartöstaden nicht mehr abgebildet war, aber die junge Frau am Empfang zeichnete enthusiastisch ein, welche Straßen sie nehmen musste, um dorthin zu gelangen.
»Dann schreiben Sie jetzt also eine Reportage?«, sagte die Frau ein wenig exaltiert.
Annika, die schon auf dem Weg zur Tür war, blieb stehen und sah sie verwirrt an.
»Na ja«, verdeutlichte die Frau an der Rezeption leicht errötend, »ich habe gesehen, dass die Rechnung an das
Abendblatt
gehen soll.«
Annika ging ein paar Schritte rückwärts und schlug mit der Ferse gegen die Schiebetür. Im nächsten Moment war sie draußen, Setzte sich in das ausgekühlte Auto und fuhr auf den Södra Varvs leden. Das Lenkrad war eiskalt, sodass sie in der Tasche nach ihren Handschuhen suchen musste und beinahe eine dicke Frau mit einem Kinderwagen angefahren hätte. Mit dröhnender Heizung und klopfendem Herzen fuhr sie Richtung Malmudden.
Vor der Ampel an einer Überführung über einige Eisenbahngleise warf sie erneut einen Blick auf den Stadtplan und stellte fest, dass sie sich bereits in seiner rechten unteren Ecke befand.
Nur zwei Minuten später erreichte sie den Kreisverkehr, mit dem der Hertsövägen an einem Hinweisschild auf Luleas Müllverwertungsstation endete.
Nun musste sie sich ganz auf die Straßenschilder verlassen. Sie sah hoch, Skurholmen links, Hertsön geradeaus, Svartöstaden rechts. Am Straßenrand erblickte sie plötzlich das Schild
Frasses Hamburger
und merkte im gleichen Moment, wie wenig sie gegessen hatte. Als die Ampel grün wurde, bog sie von der Straße ab, parkte den Wagen vor der benachbarten Tankstelle und ging hinein. Sie nahm einen mittelgroßen Cheeseburger mit Dressing und Zwiebeln und verschlang ihn gierig, während sie den Bratendunst einsog und ihren Blick über die gestrichenen Glasfiberwände,
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