Der Rubin der Oger
Lächeln und ein Glas Hochprozentiges einzutauschen.
Cindiel zuckte zusammen, als jemand gegen ihre Tür hämmerte. Ein solch energisches Auftreten hatte meist nichts Gutes zu bedeuten. Entweder war es ein erboster Ehemann, der mit dem Effekt eines Liebestrankes nicht zufrieden, oder einer, der mit dem Resultat überfordert war.
Cindiel legte ihr Buch beiseite und erhob sich aus ihrem Sessel. Sie hatte keine Angst, sich Kunden zu stellen, die sich ungerecht behandelt fühlten. Mit einigen klärenden Worten und einem Zauber, der die Gefühle ihres Gegenübers besänftigte, hatte sie solche Situationen bis jetzt noch immer schnell wieder in den Griff bekommen. Sie rückte ihr übergeworfenes Schultertuch zurecht und öffnete die Tür. Ihr Blick prallte gegen einen von übermäßiger Nahrungsaufnahme geformten Wanst. Ihr Besucher ragte weit über den Türrahmen hinaus. Alles, was von ihm zu sehen war, waren die Beine und der Oberkörper bis zum Ansatz der Brust. Der Rest wurde vom Dachüberstand verdeckt.
»Mogda, was machst du denn hier?«, rief sie dennoch verzückt aus. Sie umklammerte voller Freude seinen Oberschenkel und drückte sich an ihn.
»Heh, heh, Prinzessin, nicht so stürmisch, ich brauche das Bein noch.«
Mogda trat einen Schritt zurück und beugte sich zu ihr herunter.
»Du bist ja richtig groß geworden, zumindest für einen Menschen, und soweit ich das beurteilen kann, auch äußerst hübsch. Die jungen Männer deines Volkes müssen vor deiner Tür Schlange stehen.«
Cindiel lachte. »Es muss sich herumgesprochen haben, dass ich einen Mitbewohner habe, der dreimal so alt ist wie meine möglichen Bewerber, und einen Aufpasser, der fünfmal so schwer ist wie sie. Mit diesen beiden Bürden würden es nur die Mutigsten wagen, an meine Tür zu klopfen. Und so wie es aussieht, haben gerade diese noch nie von mir gehört.«
Mogda hob sie an der Taille hoch und setzte sie auf das Vordach.
»Bleib hier oben sitzen, ich versuche sie in deine Richtung zu treiben. Wenn dir einer gefällt, beleg ihn einfach mit einem Liebeszauber. Bleibt er stehen, wenn er mich im Rücken spürt, ist er der Richtige, wenn ich nicht aus Versehen auf ihn trete.«
Cindiel grinste ihn breit an.
»Ich habe dich vermisst, Mogda. Es tut gut, mal jemand anderen zu sehen. Aber sag, warum bist du schon hier? Wir wollten uns doch erst morgen Abend vor der Stadt treffen.«
Mogdas Miene verfinsterte sich, er hob Cindiel wieder vom Dach und setzte sie sanft vor ihrer Tür ab.
»Das ist eine längere Geschichte, ich erzähle sie dir nachher. Habt ihr auf dem Hinterhof immer noch ein Plätzchen für mich?«
»Ja«, sagte Cindiel. »Es ist kaum zu glauben, der Unterstand für das Brennholz, den Hagrim bei deinem letzten Besuch gebaut hat, steht immer noch und trotzt Wind und Wetter. Da kannst du es dir gemütlich machen. Er ist leer, und neues Holz kommt erst in einem Monat.«
Mogda machte es nichts aus, auf dem Hinterhof zu nächtigen. Cindiels Haus war zu klein, um ihn zu beherbergen, und auch die Gasthäuser waren nicht darauf eingerichtet, einen Oger unterzubringen, es sei denn in einem der Pferdeställe. Leider waren nicht nur die Besitzer der Tiere dagegen, sondern auch die Pferde zeigten sich äußerst beunruhigt, mit ihren natürlichen Feinden zusammenzuwohnen.
So zog Mogda es vor, bei Freunden unterzukommen, und außerdem bereitete es ihm große Freude mit anzusehen, wie Frau Mergil und ihr Mann sich für die Dauer seines Aufenthaltes im Haus verbarrikadierten. Sie hatten ihm den Überraschungsbesuch vor sechs Jahren immer noch nicht verziehen.
Mogda ging auf den Hinterhof, während Cindiel noch prüfte, ob sie beobachtet wurden. Dann ging auch sie zurück ins Haus. Sitzend schob Mogda sich vorsichtig in den Unterstand, der von Hagrim vor zwei Jahren an das Haus angebaut worden war. Er hatte beobachtet, wie der Geschichtenerzähler sich damals mit den Brettern und Latten abrackerte, um zu beweisen, dass auch er zu etwas Nutze war. Genau deswegen, und weil er Hagrims Baukünsten nicht vertraute, versuchte er keine der Wände zu berühren.
Cindiel öffnete das kleine Küchenfenster, das in den Schuppen ragte, und stellte eine Kerze hinein. Dann ging sie zur Hintertür und setzte sich vor Mogda auf die Stufen.
»Was ist, gibt es irgendwelche Probleme?«, fragte Cindiel. »Gibt es Streit mit den Händlern oder den Zwergen?«
Cindiel kam immer gleich zur Sache.
»Nicht direkt, aber etwas hat sich verändert«, erwiderte er.
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