Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
ganze Flotte unter seiner Flagge und seinem Kommando zu vereinen. Man nannte ihn den Roten Erskryn, und er war auf allen Meeren gefürchtet. Man erzählte sich, vor Jahren habe er den Dienst als Soldat und Heerführer unter Hochkönig Andorin verlassen, Verbündete um sich geschart und sei zum mächtigen Anführer der Piraten und gleichzeitig zum erbitterten Feind des Hochkönigs aufgestiegen, den er seitdem mit Ingrimm bekämpfte. Erskryn enterte Handelsschiffe und überwachte die Schiffsrouten, was dazu führte, dass sich immer weniger Kapitäne auf hohe See wagten und der Handel zwischen den Inseln abebbte.
Drynn Dur war überzeugt, dass die drei Schiffe zu ErskrynsPiratenmeute gehörten. Aber was suchten sie in diesem entlegenen Bereich des Narnen-Meeres? Hier ein Schiff ausfindig zu machen und zu kapern, war weitgehend aussichtslos, denn in diesem Teil der See verliefen keine Wasserwege, es gab keine Inseln. In welcher Mission waren sie also unterwegs? Fuhren sie etwa südwärts nach Shon oder gar nach Odo-Kan, das weiter im Osten lag?
Drynn Dur wusste keine Antwort, und er hatte auch keine Zeit, sich weiter damit zu beschäftigen. Schulterzuckend wandte er sich ab und stapfte hinauf aufs Hauptdeck, um seiner Aufgabe als Befehlshaber nachzukommen. Bis nach Caithas Dun war es noch ein weiter Weg, und er hatte Wichtigeres zu bedenken.
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Eilenna war von Thut Thul Kanen in die Gemächer an der Spitze eines hohen Wohnturms gebracht und dort eingeschlossen worden. Seit ihrer Ankunft in Shon hatte er sich nicht mehr blicken lassen, nur ein paar Diener waren in die Räume gekommen und hatten Speisen gebracht, doch waren sie sofort wieder verschwunden, nachdem sie ihre Arbeit verrichtet hatten. Das Verhalten Thut Thul Kanens hatte nicht gerade dazu beigetragen, Eilennas Zorn und ihre Abneigung gegen den Südländer zu schmälern.
Die meiste Zeit verbrachte sie schlafend, nur ab und zu stand sie auf, um die prachtvoll und luxuriös eingerichteten Zimmer zu erkunden, die ihr zur Verfügung standen. Die Möbel waren aus dunklen Hölzern gefertigt und mit einer dünnenSchicht aus Gold überzogen, kunstvolle Statuen wilder Tiere zierten die Durchgänge zu den anderen Gemächern, und vor den Fenstern hingen schwere Vorhänge aus Brokat. Im Licht der Kerzen, die auch tagsüber brannten, glitzerten goldene Kandelaber und kristallene Vasen, Schalen mit erlesenen Früchten lockten vor prächtigen bemalten Wandverkleidungen, überall standen Blumen, von denen ein schwerer, angenehm süßlicher Duft entströmte, der Eilenna schläfrig machte. Ohne Zweifel war ihr Gastgeber ein äußerst wohlhabender Mann, der seinen Reichtum gern zur Schau stellte.
Durch die hohen, länglichen Fenster der Räume genoss Eilenna einen prächtigen Ausblick über die Stadt und den Hafen von Shon. Ein blauer, wolkenloser Himmel spannte sich über die Südinseln und bildete einen scharfen Kontrast zu den weiß getünchten Häusern tief unten in der Stadt und im Hafen. Schiffe mit dreieckigen Segeln landeten an den Anlegestegen des Hafenbeckens, wurden entladen und legten wenig später wieder ab, um mit edlem Wein, Gewürzen und teuren Stoffen die Inseln des Nordens anzusteuern. Die Straßen waren überfüllt von einer lärmenden Menge von Händlern, Bauern und Bewohnern, die lautstark feilschten und heftig gestikulierten. An manchen Straßenecken hatten sich Musikanten und Tänzer aufgestellt und sorgten für ausgelassene Stimmung, manchmal drangen sogar Töne ihrer Musik bis an Eilennas Ohr.
Die Wohnviertel der einfachen Bevölkerung befanden sich in den Bereichen der Bucht, die nahe am Meer lagen; sie erstreckten sich am Hang entlang bis auf die Höhe des Königspalastes, von dem sie durch eine hohe Mauer getrennt waren. Dahinter funkelte das Schloss des Herrschers von Shon, dessen kegelartige Türme die Haupthalle umringten, welche in Form einer Halbkugel gebaut worden war. Die Außenwändedes Palasts waren von tausenden und abertausenden bläulicher Steine überzogen, die das Licht der Sonne reflektierten und ihn weithin übers Land strahlen ließen. Zu beiden Seiten des Palasts erhoben sich weitere Gebäude, Türme und Aussichtsplattformen, zwischen denen grüne Gärten lagen. Bäume mit riesigen, fächerartigen Blättern spendeten Schatten, und Bäche plätscherten am Rande angelegter Wege entlang; ab und zu konnte Eilenna die Gestalten dunkelhäutiger Menschen in weißen Gewändern entdecken, die in der Kühle der Gärten
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