Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
entzog sich ihnen nicht länger, aber ihr Herz blieb dabei unbeteiligt. Es hing weiterhin an Bô, obwohl er einfach so verschwunden war. Dabei war Gao kein schlechter Mann. Er sorgte für sie und machte ihr sogar Geschenke, aber er war so viel älter als sie und hatte nur wenig Verständnis für ihre Gedanken und Ideen. Für ihn zählte nur sein Wille. Sein Hauptanliegen war es, so schnell wie möglich ein Kind mit ihr zu zeugen, um allen zu zeigen, dass er trotz seines Alters noch ein ganzer Mann war.
Nakeshi wusste es heimlich zu verhindern. Sheshe hatte ihr ein Gras gezeigt, das man zusammen mit der Haut einer bestimmten Raupe stampfen und dann nach jedem Geschlechtsverkehr kauen musste. Sie wollte auf keinen Fall ein Kind von Gao, denn sie fürchtete, dass ein Kind, das nicht in Liebe gezeugt wurde, die Kraft ihres Num schwächen könnte. Mehr und mehr hatte sie begonnen, Sheshes Platz einzunehmen. Die Saat, die ihre Tante während ihrer Lehrzeit in ihr gelegt hatte, begann zu keimen. Dennoch war ihr Num noch nicht völlig ausgereift, und der Versuch, eine Heilzeremonie zu machen und sich in einen Trancetanz zu versetzen, konnte sie das Leben kosten. Doch sie war bereit, es zu versuchen.
»Ich könnte es tun«, sagte sie mit fester Stimme. »Wirst du mir
helfen?« Ihre großen, antilopenbraunen Augen wanderten liebevoll über das verhutzelte Gesicht ihres Vaters.
»Eye, eye«, wandte er nach kurzem Zögern ein. »Es fällt mir nicht leicht, dir das zu erlauben. Ich fürchte, dass ich dich verlieren kann. Lass es Besa machen, sie hat auch Erfahrung und ist bereits alt.«
»Besa ist alt und blind«, protestierte Nakeshi. »Wie soll sie die Pfeile, die Kantla quälen, finden und entfernen, wenn sie nichts sieht?«
Debe nickte und schwieg. Es war nicht leicht für ihn, seiner Tochter recht zu geben. Voller Sorge betrachtete er sie.
»Warum tust du das für den Fremden? Er gehört nicht zu unserer Familie. Er ist noch nicht einmal einer von unserer Sippe. Wir haben genug für ihn getan. Gauab ist der Sieger. Kauha will es so.«
»Woher willst du das wissen?« Nakeshi gab sich kämpferisch. »Er ist ein Mensch wie du und ich und soll leben. Lass es mich versuchen, und bitte die anderen, es auch zu tun. Ich brauche eure Hilfe. Helft ihr mir nicht, so gehe ich den Weg in die Anderswelt allein.«
Debe kapitulierte kopfschüttelnd. »Woher hast du nur deinen Sturkopf? Bin ich dir kein guter Vater gewesen und Chuka keine gute Mutter? Warum musst du so sein wie meine Schwester Sheshe? Ihr ist das starke Num zum Verhängnis geworden. Niemand weiß, was aus ihr geworden ist.«
»Ich bin stark genug für die Zeremonie.« Nakeshi war sich sicher. Liebevoll streichelte sie über Debes knotige Hand. »Hilf mir mit deinem Num, dann komme ich sicher wieder zurück.«
Buschmann-Heiler mit dem Num, einer mächtigen Heilkraft, hatten die Aufgabe, zwischen Geistern und Menschen zu vermitteln und die unsichtbaren Pfeile, die einen Menschen schwächten oder krank machten, zu entfernen. Das Num eines Heilers
schlummerte, bis es durch eine Anstrengung zufällig oder gewollt geweckt wurde. Sheshe hatte schon früh erkannt, dass ihre Nichte Nakeshi ein großes Potenzial davon in sich trug, und hatte sie gewissenhaft Schritt für Schritt darauf vorbereitet, es an die Oberfläche kommen zu lassen. Doch dann war Sheshe weggegangen, und es war Nakeshi nicht vergönnt gewesen, ihre Ausbildung zu Ende zu bringen. Schon deswegen ließ sich die junge Buschmannfrau auf ein gefährliches Abenteuer ein. Wenn es ihr nicht gelang, ihre Kräfte zu bündeln, konnte es leicht zur Folge haben, dass ihr Geist den Weg zurück in ihren Körper nicht mehr fand. Immerhin wusste sie, dass sie es schaffen konnte, wenn die Gruppe ihr durch Gesänge Unterstützung gab und sich um ihren Körper kümmerte. Noch am selben Tag fanden sich alle unter dem Mankettibaum ein. Die Buschmänner umringten den fiebernden Kranken, den man in Lederdecken gehüllt in die Mitte gelegt hatte. Neben ihm brannte ein Feuer. Er war immer noch bewusstlos. Sein Atem ging flach und unregelmäßig, sodass sich Nakeshi nicht sicher war, ob sie den Kampf nicht schon verloren hatten, noch bevor er begonnen war. Umso mehr wollte sie es versuchen. Sie stellte sich neben das Feuer und stampfte abwechselnd mit dem linken und dann mit dem rechten Fuß auf. Erst leise, dann immer lauter stimmte sie in das Heilzeremonienlied ein. Ihr Körper vollführte unterdessen bestimmte Schritte und
Weitere Kostenlose Bücher