Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Fritz’ Gesicht wurde unter seiner Bräune aschfahl. »Ich kann nicht glauben, dass du mir gestern alles nur vorgespielt hast!«
»Ich habe dir nichts vorgespielt. Meine Gefühle zu dir sind echt, aber deswegen müssen wir nicht heiraten! Ich brauche meine Freiheit und möchte mich nicht von einem Ehemann einengen lassen. Versteh das doch!«
»Deine Freiheit? Wie meinst du das?«
»Ich möchte selbst entscheiden, was gut und was schlecht für mich ist. Mein ganzes Leben habe ich gekämpft, frei zu sein. Jetzt bin ich es, und da kommst du und willst mich wieder einsperren.«
»Wie kannst du nur so einen Unsinn reden? Ich würde dich nie einengen!«
»Du verstehst mich nicht!«
Fritz wurde nun auch aufgebracht.
»Ach nein?« Seine Augen verengten sich zu zwei Schlitzen. »Aber du verstehst mich? Ist dir schon einmal der Gedanke gekommen, dass du mit deinem Verhalten auch mich verletzen könntest?«
Er sah sie herausfordernd an und fügte dann leise hinzu: »Ich liebe dich. Das muss doch genügen.«
Anstatt einer Antwort schob sich Jella endgültig an Fritz vorbei und machte sich an den Abstieg. Trotzig kletterte sie den Fels hinunter und fühlte sich dabei so mies wie noch nie. Fritz hatte alles in ihr durcheinandergebracht. Sie liebte ihn, mehr, als sie es
sich eingestehen wollte, aber noch wichtiger war ihr ihre Freiheit. Warum nur musste er sie gleich nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht so bedrängen? Plötzlich schämte sie sich. Sie hatte sich wie eine Hure benommen. Das war unverzeihlich.
Den ganzen Heimweg über sprachen sie kein Wort. Fritz prüfte die Sättel der Pferde und schwang sich dann wortlos auf seinen Wallach, ohne nachzusehen, ob Jella ihm folgen würde. Sie blieb absichtlich ein Stück hinter ihm, damit er sie nicht nochmals in ein Gespräch verwickeln konnte. Aber Fritz dachte gar nicht daran. Schweigend kehrten sie zurück nach Okakarara. Noch am gleichen Nachmittag machte sich Jella auf den Weg zurück nach Owitambe.
Tränen im Bauch der Erde
Kantla war wieder bei Bewusstsein, aber er wusste nicht, wer er war und zu welcher Sippe er gehörte. Er war wach, aber sein Geist dämmerte noch in den Zwischenwelten. Nakeshi kümmerte sich weiterhin um ihn und wandte all ihr Wissen an. Sie suchte stundenlang im Busch nach Heilpflanzen, braute daraus Aufgüsse oder zerkaute sie zu faserhaltigem Brei, den sie auf die Kopfwunde legte. Um ihn nicht zu sehr anzustrengen, kaute sie das Fleisch und die gesammelten Beeren und Wurzeln vor und stopfte sie ihm bröckchenweise in den Mund. Sein Körper erholte sich zunehmend und gewann etwas an Kraft zurück. Sobald er einigermaßen gehen konnte, führte sie Kantla der Sippe vor. Sie hoffte, dass er sich bei ihrem Anblick erinnern würde. Aber sein Geist blieb stumm. Freundlich lächelte er die Buschleute an, berührte ihre Schultern, setzte sich dann wieder in den schützenden Schatten des Mankettibaums und beobachtete scheinbar teilnahmslos das Leben der Gruppe.
»Er ist unter uns und doch nicht da«, meinte Debe eines Tages zu seiner Tochter. »Vielleicht hast du doch nicht alle Pfeile während deiner Geisterreise entfernen können?«
Nakeshi schüttelte bestimmt den Kopf, sodass ihre kurzen Zöpfchen wackelten. Sie standen wie Borsten von ihrem ganzen Kopf ab.
»Kein einziger ist mehr da. Aber es muss ein anderer Fluch auf ihm liegen. Ich weiß nur nicht, welcher.«
»Vielleicht muss etwas Besonderes sein Herz rühren, damit der Fluch gelöst wird und sein Geist wieder an unserem Leben Anteil nimmt.«
»Denkst du an die Tränen im Bauch der Erde?«
Debe nickte. Nakeshi überlegte. Debe hatte Kantla schon einmal damit glücklich gemacht. Warum sollte es jetzt anders sein? Aber um daranzukommen, würde Debe weit in die Kalahari gehen müssen. Es war eine beschwerliche Reise, auf der es nur wenig Wasser gab. Selbst die Buschleute wagten sich nur äußerst selten so weit vor.
»Ist er es wert?«, fragte sie, obwohl sie seine Antwort kannte.
»Jeder Mensch ist es wert, auch wenn er nicht zu unserer Gruppe gehört. Er hat viel für uns getan, also werde ich auch etwas für ihn tun. Morgen früh breche ich auf.«
Vor dem ersten Morgengrauen lief Debe los. Er war einer der besten Läufer der Gruppe und konnte stundenlang rennen, ohne auch nur einmal anzuhalten. Zum Schutz gegen die Sonne hatte er sich aus Buschgras einen Sonnenhut mit einer schmalen Krempe geflochten. Seinen Umhängebeutel hatten ihm Chuka und Nakeshi mit Beeren und
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