Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Jellas
Wahrnehmung zu einer Ewigkeit hin. Bild für Bild brannten sich die Schrecksekunden in ihr Gehirn ein. Das wütende Zischen der Schlange, der dreieckige Kopf mit den gelben Augen, die tödlichen Giftzähne, die drohend aus dem weit geöffneten Rachen auf sie zustrebten - und das Warten auf den Biss, der ihr Todesurteil bedeuten würde.
Noch Jahre später sollte die Erinnerung daran kaum verblassen. Der Tod war so nah und sicher gewesen, dass er für Jella selbstverständlich geworden war. Umso unglaublicher war es, dass es dennoch anders kam.
Wie ein Blitz sauste plötzlich ein schwerer, gegabelter Holzast von oben herab, fixierte den Kopf des Tiers und wandte so die drohende Gefahr von Jella ab. Eine kleine braune Hand packte das Reptil hinter seinem Kopf und hinderte es an seinem tödlichen Biss. Das alles geschah in Windeseile und ohne einen Laut. Nur das wütende Zischen der Schlange war zu hören. Ihr muskulöser Körper wand sich in wildem Aufbegehren, bevor die andere Hand, ein Steinmesser führend, den Zuckungen ein Ende bereitete. Neben Jella kauerte eine junge Frau. Ihre geringe Körpergröße und der inselartige Haarbewuchs, der zum Teil in kleinen Zöpfen endete, ließen Jella vermuten, dass sie eine Buschmannfrau vor sich hatte. Noch bevor sie in irgendeiner Weise reagieren konnte, legte die kleine Frau ihren Zeigefinger vor den Mund und bedeutete ihr zu schweigen. Mit einem schnellen Handgriff verstaute sie das tote Tier in ihrem Beutel und spähte dann in Richtung Lucie und Grünwald. Offensichtlich hatte sie längst den Ernst der Lage erkannt und wusste, dass sie nicht entdeckt werden durften. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass von den beiden im Moment keine Gefahr ausging, machte sie sich mit raschen Bewegungen daran, Jellas Fesseln mit dem Steinmesser zu lösen. Die Klinge war erstaunlich scharf. Mit kundigen Händen massierte sie Jellas wunde Fesseln und ihre Handgelenke, um das Blut wieder frei
zirkulieren zu lassen. Dieser kurze Augenblick blieb Jella, um ihre Retterin genauer zu betrachten. Die kleine wohlgeformte Stupsnase, die mandelförmigen braunen Augen und der volle, beinahe runde Mund mit dem verschmitzten Lächeln. Das alles war ihr auf eine erstaunliche Art und Weise bekannt. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitzschlag. Sie wusste nicht, was sie mehr aus dem Konzept brachte, die Tatsache ihrer wundersamen Rettung oder das Auftauchen dieser außergewöhnlichen Frau. Nur mit Mühe gelang es ihr, einen kleinen Aufschrei zu unterdrücken, bevor sie die Tatsache akzeptierte, dass ihre Retterin und das Mädchen in ihren ständig wiederkehrenden Visionen ein und dieselbe Person waren!
Die junge Frau schien ihre Gedanken erraten zu haben. Sie nickte und schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln. Gleich darauf wurde ihr Gesicht wieder ernst. Mit Handzeichen bedeutete sie Jella, dass sie sich nun wie kleine Tiere davonschleichen müssten. Auf allen vieren, den Schutz des Felsens nutzend, krabbelte Jella der Buschmannfrau hinterher. Der lange Rock war ihr hinderlich. Um überhaupt voranzukommen, musste sie ihn in unanständiger Weise weit über ihren Po hinaufschieben. Erst dann gelang es ihr, der so viel wendigeren Frau zu folgen. Immerhin erreichten sie unbemerkt einen dicht belaubten Rosinenbusch. Die Buschmannfrau vergewisserte sich, dass Jella in Ordnung war, dann erhob sie sich und deutete mit ihrer Hand hinter die nächste Gruppe von Bäumen. Dazwischen lag ein Stück offene Ebene. Sie machte ihr rasch klar, dass sie nun wie ein großes Tier fliehen mussten. Jella verstand ihre Zeichen sehr wohl, aber sie war sich nicht sicher, ob sie auch genügend Kraft dazu besaß, ihnen Folge zu leisten. Die Vorstellung, dass ihr die Grünwalds bald auf den Fersen sein würden, ließ sie zittern. Eine Welle von Angst schwappte in ihr auf. Dann biss sie sich auf die Lippen und rannte ihrer Retterin hinterher. Hinter jeder Deckung gönnten sie sich eine kurze Pause. Dann trieb die Buschmannfrau sie weiter
an. Erst als sie sich eine geraume Strecke von dem Lagerplatz entfernt hatten und Jellas Schritte immer langsamer und schleppender geworden waren, erlaubte sie ihr eine längere Pause. Jella ließ sich keuchend hinter einem Baum auf den Boden fallen und versuchte verzweifelt, ihre letzten Kräfte zu mobilisieren. Unterdessen machte sich die Buschmannfrau daran, ihre Spuren zu verwischen. Dazu hatte sie einen Zweig von einem Rosinenbusch abgerissen und damit ihre Fußabdrücke bis
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