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Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari

Titel: Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Mennen
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einem Nagelbrett. Seine Augen starrten ins Leere. Der Impresario neben ihm war ein spindeldürrer »Inder«, der einen recht unorientalischen Eindruck hinterließ. Sein mit Schuhwichse gebräuntes Gesicht ging für jeden sichtbar abrupt in einen käseweißen Hühnerhals über, während er im breitesten Schwäbisch »die wondervollschte Schau dr Welt« ankündigte. »Rausgeschmissenes Geld«, befand Jella und ging weiter.
    Mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen blieb sie vor der Abnormitätenschau stehen. Sie war neben Dir. Hagenstolz’ »Afrikanischer Menagerie und Völkerschau« eine der Hauptattraktionen des Rummels. Der Ausrufer pries gerade den sogenannten Hautmenschen an. Der Mann neben ihm wirkte auf den ersten Blick ganz normal, bis er anfing, sich seine gummiähnliche Haut über sein Gesicht zu stülpen. Auf Zuruf der Zuschauer packte er die Haut unterhalb seines Kinns und zog sie bis zum Haaransatz nach oben, sodass Mund, Nase und Augen unter der Hautschicht verschwanden. So etwas hatte Jella noch nie gesehen. Sie überwand ein kleines bisschen Unbehagen und entschloss sich dann hineinzugehen. Die Vorstellung würde in den nächsten Minuten beginnen. Eilig fingerte sie nach dem Geld in ihrer Rocktasche
und bezahlte die zwanzig Pfennige Eintrittsgeld. Ein Türsteher ließ sie durch den seitlichen Eingang in die Schaubude. Im Inneren war es schummrig und laut. Die Zuschauer unterhielten sich angeregt über die bevorstehende Vorstellung. Einfache Holzpritschen standen vor einer kleinen Tribüne. Nur noch wenige Plätze waren frei. Eilig quetschte sich Jella zwischen eine Frau mit zwei kleinen Kindern und einem jungen Mann, der ihr mit einem schmierigen Lächeln auf den Lippen und einer impertinenten Alkoholfahne Platz machte. Dann begann die Vorstellung. Der auf die Bühne tretende Impresario war ein Liliputaner in Frack und Zylinder. »Sammy Le Petit«, stellte er sich mit einem imitierten französischen Akzent vor. Gleichzeitig tippte er galant an seinen viel zu großen Zylinder. Das Lächeln des zwergenwüchsigen Mannes erinnerte Jella an das eines Kindes, das gern erwachsen sein will. Seine Stimme war zwar wohlklingend männlich, klang aber doch zarter und weniger durchdringend als die eines Normalwüchsigen. Nach der Begrüßung kam er gleich zur Sache. Als erste Attraktion kündigte er den weiblichen Koloss, die dicke Emmy an. »Meine Damen und Herren, staunen Sie selbst über unser Prachtmädchen«, piepste er. »Sechshundert Pfund schwer, seit Menschengedenken das schwerste Mädchen, das je gelebt hat. Fünftausend Goldmark Belohnung demjenigen, der mir ein ebenso schweres Mädchen nachweisen kann!« Sein Blick schweifte herausfordernd über das Publikum. »Sehen Sie selbst!« Der Vorhangs wurde beiseitegeschoben. Herein kam die dickste Frau, die Jella jemals gesehen hatte. Emmy konnte vor lauter Fett nicht mal laufen. Ihre Speckmassen thronten auf einem Polster, das auf einem fahrbaren Podest hereingeschoben wurde. Ein Raunen ging durchs Publikum. Emmy war wirklich ungeheuerlich. Sie steckte in einem zeltähnlichen, weißen Kleid, unter dem locker vier gut genährte Erwachsene Platz gefunden hätten. Sie konnte sich kaum rühren, strahlte aber freundlich über ihr fettes Gesicht, dessen
kleine Nase wie eine eingedrückte Kirsche im Sahnekuchen saß, während sie sich mit ihren Patschhändchen kleine Kuchenstücke in den Mund stopfte.
    »Darf ich Ihnen mal was Vertrauliches verraten?«, drängte sich ihr schmieriger Sitznachbar auf. Er rückte ein Stück an Jella heran und strich sich wichtigtuerisch über seinen dünnen, geschwärzten Lippenbart. Statt einer Antwort warf Jella ihm einen unfreundlichen Blick zu, was den Mann aber nicht davon abhielt, weiterzureden. »Ich weiß es aus erster Hand. Die fette Emmy kostet den Laden hier ein ganzes Vermögen. Weil sie so fett ist, kommt sie durch keine Coupétür in der Eisenbahn. Deshalb musste die Dame in den Gepäckwagen verladen werden, gegen doppelten Fahrpreis dritter Klasse und zwölf Mark Streckenzuschlag! Ist das nicht komisch?« Jella sah demonstrativ in eine andere Richtung und tat so, als interessiere sie das Ganze nicht. Aber ihr Nachbar ließ nicht locker. Seine Aufdringlichkeit wurde noch durch den Alkohol- und Zwiebelgeruch verstärkt. »Jetzt kommt es ja noch viel besser«, verriet er. »Ich war ja schon oft in der Vorstellung und helfe selbst beim Rummel aus. Wenn Sie wollen, erkläre ich Ihnen die Schau.«
    »Besten Dank«,

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