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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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und Eisenwarenhändler konnten gar nicht so schnell Schalholz, Stempel und Werkzeuge liefern, wie die Minen sich vergrößerten. Natürlich würde Florence höflich bleiben, aber im Familienkreis bezeichnete man die »kleine Lambert« schon mal als »unverschämte Göre«. Der Ausdruck war auch in Bens Beisein bereits gefallen. Und nun stand er diesem »kleinen Biest« leibhaftig gegenüber – und es entpuppte sich als seine Lily, das Mädchen, das er nicht aus dem Kopf bekam, seit es ihn in England versetzt hatte. Und für das er seitdem seitenweise Gedichte schrieb ...
    Lilian zwinkerte ihm kurz zu. Ben verstand.
    Während des Gottesdienstes lagerten die beiden Familien an entgegengesetzten Enden der Wiese, doch Lilian und Ben konnten sich nicht auf den Reverend konzentrieren. Beide atmeten auf, als das letzte Lied verklungen war und alle zu den Erfrischungen strebten. Lilian schaffte es, beim Anstehen vor der Fruchtbowle neben Ben zu landen.
    »Gleich, wenn alle gegessen haben und müde sind ... dann sehen wir uns ... hinter der Kirche ...«, wisperte sie ihm zu.
    »Auf dem Friedhof?«, fragte Ben.
    Lilian seufzte. So prosaisch hatte sie das nicht ausdrücken wollen, und sie hatte natürlich auch überlegt, ob der Gottesacker sich für ein erstes geheimes Treffen zweier Liebender wirklich eignete. Letztlich aber war sie zu dem Ergebnis gekommen, dass dies durchaus eine romantische Komponente besaß. Ein bisschen morbid vielleicht, aber auch bittersüß. Wie ein Gedicht von Edgar Allen Poe ...
    Außerdem gab es keinen anderen Platz in der Gegend, der so garantiert elternfrei war wie der Friedhof.
    Also nickte sie. »Behalte mich einfach im Blick, du siehst ja, wenn ich aufstehe.«
    Ben nickte eifrig und nahm dann seine Limonade entgegen. Er überlegte kurz, sie Lilian anzubieten, um ihre Wartezeit zu verkürzen, kam dann aber zu dem Schluss, dass dies zu auffällig wäre. Also zwinkerte er ihr nur verschwörerisch zu und machte sich auf den Weg. Lilian sah ihm verzückt nach. Endlich passierte mal etwas! Und endlich war es genau so wie in ihren Romanen – der lang verlorene Liebste kam zurück. Lily seufzte. Aber ein Feind ihrer Familie. Wie bei Shakespeare! Bei der Weihnachtsaufführung in Oaks Garden hatte sie zu ihrer Verärgerung nie die Julia spielen dürfen. Aber jetzt war sie mittendrin in der Geschichte!
     
    Schließlich war es Ben, der seine Familie als Erster verließ und unauffällig zur Kirche schlenderte. Lily trennte sich dagegen fast ungern von den »Tischgesprächen« zwischen Elaine und Tim, Matt und Charlene. Es ging wieder mal um die Billers und ihren ältesten Sohn. Lilians Mutter und Charlene konnten sich gar nicht beruhigen, wie sehr der Junge seinem Vater ähnlich sah. Lilian fand das ein wenig befremdlich. Auch ihre Brüder ähnelten Tim, und Charlenes Ältester war Matt Gawain wie aus dem Gesicht geschnitten. Aber niemand hatte je mehr als ein oder zwei Worte darüber verloren. Auf jeden Fall unterhielten die Familien sich bestens, und keiner achtete darauf, dass Lilian sich absetzte. Als sie zum Kirchhof kam, war Ben gerade dabei, ihre Initialen in die alte Buche zu schnitzen, die am Ostende der Einfriedung stand. Lilian fand das romantisch, wenn auch taktisch nicht sehr geschickt. So viele L. L.s und B. B.s konnte es in Greymouth schließlich nicht geben. Aber was sollte es? Sie beschloss, sich geschmeichelt zu fühlen, weil Ben Risiken für sie einging.
    Er strahlte sie an, als sie zwischen den Gräberreihen auf ihn zukam.
    »Lily, ich hätte nie gedacht, dass ich dich noch mal wiederfinde!«, begrüßte er sie. »Dieses komische Mädchen in Oaks Garden sagte mir, du gingest heim. Ich dachte, das wäre vielleicht London oder Cornwall oder irgendwas in England. Du hast mir nicht erzählt, dass du aus Greymouth bist!«
    Lilian zuckte die Achseln. »Ich dachte auch, du kommst aus Cambridge oder Umgebung. Und ich dachte, du bist arm, wegen des Stipendiums ...«
    Ben lachte. »Nein, nur jung. Deshalb die Vorzugsbehandlung. Ich hatte ein paar Klassen übersprungen, und die Universitäten haben sich geradezu um mich geschlagen. Mit dem Stipendium konnte ich studieren, was ich wollte – nicht, was meine Eltern sich vorstellten. Jedenfalls bis jetzt. Aber mit diesem dummen Krieg hatten sie natürlich eine wunderbare Ausrede, mich zurückzuholen. Und nun sitze ich in diesem fürchterlichen Büro und soll mich dafür interessieren, wie man Kohle aus der Erde holt. Von mir aus könnte sie

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