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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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zuvor. Es gab ihr Mut, ihrer Mutter aufrecht entgegenzutreten.
     
    William Martyn überwachte gerade das Abladen einiger Requisitenkisten, als Tamatea und Gloria vor dem Ritz eintrafen. Die Martyns waren wieder im mondänsten Hotel Londons abgestiegen, und Tamatea hatte Gloria erzählt, dass hier auch noch ein Abschiedskonzert geplant war, bevor Kura und ihre Truppe in die Staaten reisten.
    »Aber die Eintrittsgelder behalten sie nicht«, erklärte Tamatea ohne wirkliches Verständnis. »Die sammeln sie für die englischen Soldaten oder Kriegswitwen oder so etwas ... Dabei kämpfen sie noch gar nicht richtig. Es weiß doch gar keiner, ob es überhaupt Tote geben wird.«
    Gloria musste beinahe lachen. Da war die alte Maori nun bereits durch die halbe Welt gereist, aber sie dachte immer noch in den Kategorien der Stämme, bei denen längst nicht jede groß angekündigte Fehde in ernsthafte Kämpfe ausartete. Oft belauerte man sich nur, sang ein paar möglichst kriegerische 
haka
 und wedelte mit den Speeren, aber dann fand man doch zu irgendeiner Einigung.
    Bei diesem Krieg war davon nicht auszugehen. Die Engländer mochten zwar noch nicht in Kämpfe verwickelt worden sein, aber die Gräueltaten der Deutschen in Belgien beschäftigten bereits die Zeitungen in halb Europa.
    »Vorsichtig mit den Kisten! Sie enthalten wertvolle Instrumente!« William Martyns weit reichende Tenorstimme ließ Gloria nervös zusammenfahren, obwohl diesmal nicht sie gerügt wurde, sondern die Männer von der Spedition. Die Ausstattung für Kura-maro-tinis Bühnenshow beschränkte sich längst nicht mehr auf ein paar Flöten und ein Klavier. Die wenigen festen Ensemblemitglieder wie Tamatea spielten auch größere Maori-Instrumente, und den Hintergrund für die Tänze bildete ein stilisiertes Maori-Dorf mit authentischen Schnitzereien.
    »Da bist du ja, Tamatea. Und Gloria! Schön, dich zu sehen, Mädchen, du scheinst noch etwas gewachsen zu sein. Das war aber auch nötig. Zeit, dass du dich streckst ...« William küsste Gloria flüchtig auf die Wange. »Bring sie doch gleich rauf zu ihrer Mutter, Tamatea. Kura wird froh sein, dich zu sehen, Glory, du kannst ihr helfen ...« Damit wandte er sich wieder seinen Aufgaben zu.
    Glorias Herz klopfte heftig. Wobei sollte sie ihrer Mutter helfen können?
    William hatte mit einer knappen Handbewegung einen Hausdiener angewiesen, sich um Glorias Gepäck zu kümmern. Während der Mann die Koffer ins Hotel trug, folgte Gloria Tamatea in die elegante Eingangshalle. Im Grunde sollte sie daran gewöhnt sein, aber die mondänen Hotels, in denen ihre Eltern abzusteigen pflegten, schüchterten das Mädchen immer wieder ein. Umso selbstverständlicher bewegte sich Tamatea in dieser Welt der Reichen und Berühmtheiten. Die alte Maori schritt ebenso gelassen über das Parkett und die Orientteppiche des Ritz wie über das Grasland der Canterbury Plains.
    »Schlüssel bitte, für Gloria Martyn, Tochter von Kura-maro-tini.«
    Tamatea fand nichts dabei, den Portier herumzukommandieren. Der Mann war offensichtlich neu in seiner Stellung; Gloria hatte ihn hier noch nie getroffen. Zwangsläufig traf sie der verblüffte »Das ist die Tochter von ...!«-Blick. Gloria errötete.
    »Mrs. Martyn erwartet Sie bereits«, erklärte der Portier. »Aber einen speziellen Schlüssel habe ich leider nicht für Sie, Miss Martyn. Ihre Familie hat eine Suite gemietet, in der ein Zimmer für Sie vorbereitet ist.«
    Gloria nickte. An sich bevorzugte sie Einzelzimmer. Nach der Zeit im Internat genoss sie die Möglichkeit, allein zu sein und hinter sich abschließen zu können. Aber natürlich würde sie auch in der Suite ihr eigenes Zimmer haben – und ihre Eltern kamen selten früh nach Hause. Entweder fanden Konzerte statt, oder es gab einen Empfang oder eine Party, zu denen sie geladen waren.
    Die Suite lag im obersten Stockwerk des Hotels. Gloria betrat den Aufzug wie immer mit leichtem Schaudern. Tamatea schien es ähnlich zu gehen. »Hätten die Götter gewollt, dass die Menschen sich in Rangis Arme begeben, hätten sie ihnen Flügel gegeben«, raunte sie Gloria zu, als der Liftboy sie routinemäßig auf die wundervolle Aussicht von diesem Stockwerk aus hinwies. Die alte Maori gönnte London von oben denn auch keinen Blick, sondern klopfte sofort an die Tür der Suite.
    »Herein!« Kura-maro-tini Martyn schien selbst dieses schlichte Wort zu singen. Ihre Stimme klang kräftig und melodisch. Sie war eigentlich ein Mezzosopran,

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