Der Ruf der Pferde
Ausdruck, der Patricia in den letzten Tagen so verängstigt hatte, war vollkommen aus ihrem Blick verschwunden und sie schritt lebhaft voran, die Ohren gespitzt und aufmerksam vorausschauend.
Immer wieder fragte sich Patricia, ob man sie verfolgte, ob jemand auf der richtigen Spur war. Dennoch bemühte sie sich, das Pony nicht zu überanstrengen. Dallis war zwar gesund und von Natur aus robust, doch Patricia vergaß nicht, dass sie nicht mehr die Allerjüngste war und solche weiten Strecken wohl auch noch nie zuvor zurückgelegt hatte. Sie achtete daher auf regelmäßige Ruhepausen und ließ Dallis auch stets grasen, sobald sie eine gute Weide entdeckte.
Wenn Patricia ehrlich zu sich war, musste sie sich jedoch eingestehen, dass das Pony die Tour weitaus besser verkraftete als sie selbst. Ihr schmerzten bereits nach dem ersten Tag alle Knochen im Leib. Es rächte sich nun, dass sie seit Monaten weder geritten war noch sich sonst irgendwie körperlich betätigt hatte. Der schwere Rucksack tat noch das Seine dazu und Patricia hätte am liebsten laut aufgestöhnt, als sie ihn sich am zweiten Morgen ihrer Flucht wieder auf den Rücken schwang. Natürlich würde das Gewicht mit der Zeit abnehmen, je mehr sie von ihrem Proviant verbrauchte, aber Patricia widerstand der Versuchung, aus diesem Grund mehr zu essen als unbedingt nötig. Wer wusste schon, wie lange sie mit ihren Vorräten auskommen musste, sie durfte also keinesfalls leichtsinnig werden.
Schlimm genug, dass sich die Wolldecke für die Nacht als nicht ausreichend erwies. Immer wieder war Patricia aufgewacht, weil sie fror, obwohl sie schon bald alles übereinander anzog, was sie an Kleidung dabeihatte, und sich eng in die Decke einwickelte. Der Regen, der am Nachmittag des ersten Tages eingesetzt hatte, hatte zwar glücklicherweise bald wieder aufgehört, doch er hatte ihre Sachen klamm und den Boden feucht werden lassen.
Dallis störte sich nicht an der feuchten Nachtkühle. Sie weidete zuerst ausgiebig und legte sich schließlich in aller Ruhe zum Schlafen ins Gras. Patricia beneidete sie heimlich um ihr zottiges Fell. Das Pony schien jedenfalls nicht zu frieren und wirkte mit der Situation absolut zufrieden.
Patricia spürte hingegen seit dem Morgen bereits ein Kratzen im Hals und fürchtete, dass sich eine Erkältung im Anmarsch befand. Verwunderlich war es nach der durchfrorenen Nacht sicher nicht, doch eine Erkältung konnte sie momentan wirklich nicht gebrauchen.
Hoffentlich hielt das Wetter jetzt eine Weile, dachte Patricia und blickte unruhig zum Himmel. Fing es erst einmal richtig zu gießen an, wie es in den Highlands leider nicht außergewöhnlich war, stand sie vor einem echten Problem.
Sie nahm die Zügel wieder auf.
»Auf geht’s, meine Kleine«, sagte sie und trieb Dallis voran. »Wir haben noch eine weite Strecke vor uns.
Sie wusste nicht genau, wo sie die Wildpferde suchen musste. Weiter im Norden, hatte Silas gemeint, doch das war leider eine recht ungenaue Ortsangabe. Es blieb Patricia nichts übrig, als zu hoffen, dass sie irgendwann auf eine Herde stoßen würde. An den Rückweg mochte sie ohnehin nicht denken. Sie würde ihn zu Fuß zurücklegen müssen, schon aus diesem Grund betete sie heimlich, dass sie nicht noch tagelang reiten musste, bevor sie Dallis freilassen konnte.
In ihrer Nase kribbelte es. Patricia nieste, worauf Dallis erschreckt den Kopf aufwarf.
»Entschuldigung!« Patricia klopfte ihr beruhigend den Hals und fingerte ein Taschentuch aus ihrer Jackentasche. Verdammt, dachte sie, sie bekam tatsächlich einen Schnupfen.
Die Landschaft wurde zunehmend wilder. Während des ersten Tages waren sie noch an ein einigen kleineren Seen vorbeigekommen, doch inzwischen beschränkten sich für Patricia und Dallis die Möglichkeiten, ihren Durst zu stillen, auf die wenigen Gebirgsbäche, auf die sie zuweilen stießen. Je höher sie hinauf in die Berge gelangten, desto stärker blies der Wind und Patricia erkannte an der Vegetation, dass raues Wetter hier an der Tagesordnung war. Das Gras wuchs kurz und hatte eine derbe, stachelige Struktur und außer niedrigem, krumm gewachsenem Buschwerk gab es keine größeren Pflanzen mehr.
Auch Tiere sah Patricia selten. Einige Male scheuchten sie Kaninchen auf, einmal meinte sie sogar an einem der entfernten Hänge ein Rudel Rotwild auszumachen, doch ansonsten waren Vögel ihre einzigen Weggefährten.
Patricia zog ihre Jacke eng um sich zusammen. Sie fror immer noch, der Nebel
Weitere Kostenlose Bücher