Der Ruf der Pferde
Konstruktives beizutragen hast, dann halt einmal deinen Mund!«
»William, bitte«, sagte seine Frau leise und legte ihm die Hand auf den Arm.
Ivan schien den Anpfiff allerdings nicht krummzunehmen. Ethan hätte beinahe gelacht, als er sah, wie ihm der Junge heimlich zuzwinkerte und dabei grinste.
Doch das Lachen verging ihm auf der Stelle, als er die ersten dicken Tropfen spürte, die auf ihn herunterklatschten.
Verdammt, dachte er, als er sich den Himmel besah. Das sah nach einer längeren Schlechtwetterfront aus. Falls Patricia nicht wirklich irgendwo Unterschlupf gefunden hatte, würde sie in kurzer Zeit klatschnass sein. Dallis schadete das Wetter hingegen nichts, diese Highland Ponies waren robust und an das raue Klima in den Bergen gewöhnt. Es steckte eben doch noch viel Wildpferd in ihnen . . .
Ethan erstarrte.
Beim Stichwort Wildpferd hatte irgendetwas bei ihm geklingelt. In seinem Kopf rasten die Gedanken.
Moment, ganz ruhig, mahnte er sich. Was hatte Patricia gestern am Telefon gesagt? Irgendwas von wilden Ponys in den Bergen. Und dass Silas ihr davon erzählt hatte. Danach hatte sie auffällig geistesabwesend gewirkt, fiel Ethan siedend heiß auf.
Er rieb sich das Gesicht.
Mein Gott, konnte es das sein, was Patricia plante?
Versuchte sie tatsächlich, für Dallis die wilden Herden zu finden?
Patricias Eltern merkten, dass Ethan still geworden war. Angstvoll blickten sie ihn an.
»Ist Ihnen etwas eingefallen? Wissen Sie, wo Patricia ist?«
Ethan schloss seine Augen und atmete tief durch.
Dann sah er die Mackintoshs ernst an.
»Ich glaube, Ja«, meinte er langsam.
Denn jetzt bekam er erst richtig Angst.
27.
Der Adler kreiste hoch oben über dem Gipfel des bläulich schimmernden Berges zu Patricias Linken. Er schien sie zu begleiten, zumindest kam es ihr so vor, und irgendwie beruhigte sie dieser Gedanke. Ein lebendes Wesen in der Einsamkeit der rauen Wildnis, in die sie und Dallis seit zwei Tagen immer weiter vordrangen.
Nicht zum ersten Mal stieg in Patricia der Verdacht auf, dass sie möglicherweise nur einer Legende folgte. Obwohl sie sich mittlerweile weit in den echten Highlands befanden, deutete nichts darauf hin, dass es hier tatsächlich wilde Ponys gab.
Doch was hätte sie denn auch für eine Wahl gehabt?
Die Idee erschien Patricia als letzte Rettung.
Als sie mit Ethan am Telefon gesprochen hatte, war ihr eingefallen, was Silas über die Wildponys erzählt hatte, und der Gedanke hatte sie elektrisiert.
Das mochte die Lösung sein, um Dallis vor dem Tod zu bewahren!
Alle anderen Möglichkeiten, die sie bis dahin durchgespielt hatte, erwiesen sich bei näherer Überlegung als undurchführbar. Patricia verfügte nicht über das Geld, die Stute zu kaufen, und sie wusste auch niemanden, den sie außer ihren Eltern darum bitten konnte. Und ihre Eltern verstanden nicht, wie ernst die Sache stand.
Der Plan, das Pony nach Edinburgh zu reiten, wie sie es kurz ins Auge gefasst hatte, war ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Der Weg führte durch dicht besiedeltes Gebiet und lange bevor sie ihr Ziel erreicht hätte, hätte man sie entdeckt und zurückgebracht. Außerdem vermochte sich Patricia nicht vorzustellen, dass Helen oder jemand anders, bei dem sie Dallis unterbringen könnte, die Anwesenheit der Stute dann bis in alle Ewigkeiten geheim zu halten bereit war.
Die einzige Chance, die blieb, war, Dallis irgendwohin zu bringen, wo kein Mensch sie jemals entdecken würde. Wie eine Herde wilder Ponys oben in den Bergen.
Patricia wusste sehr gut, dass sie eine Straftat beging. Das Pony stellte einen materiellen Wert dar und sie hatte natürlich kein Recht, es einfach zu stehlen. Nach ihrer Rückkehr musste sie deshalb mit Silas reden. Er war über die geplante Tötung der Stute ebenfalls nicht froh gewesen, vielleicht war er deshalb ja nicht allzu böse auf sie, vor allem, wenn sie versprach, ihm den Kaufpreis in Raten zu ersetzen. Patricia hoffte, ab Herbst einen Nebenjob zu finden, dann war sie auch in der Lage, Silas das Geld nach und nach zurückzuzahlen.
Doch je länger sie unterwegs war, desto sicherer spürte Patricia, dass sie richtig handelte.
Und sie merkte, wie sehr sie es vermisst hatte, auf einem Pferd zu sitzen. Seit Gavins Unfall schien sich zum ersten Mal der Kloß in ihrer Kehle zu lösen und sie fühlte sich auf Dallis’ Rücken so zu Hause, als hätte sie die Stute bereits ihr Leben lang geritten.
Dallis schien den Ritt ebenfalls zu genießen. Der stumpfe
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