Der Ruf der Pferde
wo sie hinwanderte. Sie konnte ja einfach in einem Bogen am Hof vorbeilaufen und schauen, wo der Weg dahinter weiterführte. Sie hoffte nur, dass sie nicht wieder zufällig einer Reitgruppe begegnete.
Die Ponys auf den Koppeln brauchte sie gar nicht zu beachten, wenn sie nicht wollte.
Da vorne grasten schon welche. Eine kleine Gruppe: braune, graue und ein fast weißes. Sie sahen wirklich hübsch aus. Stämmige Gesellen, mit langen, buschigen Mähnen und Schweifen und ausgeprägtem Kötenbehang. Sie standen mit den Hinterteilen in den Wind gedreht und suchten auf der mageren Weide emsig nach ein paar schmackhaften Kräutern, verschmähten allerdings auch das kurze, raue Gras nicht. Echte Bewohner des kargen Hochlandes, dachte Patricia, genügsam und an das Überleben in unwirtlichem Gelände angepasst. Sie wusste, dass diese Pferdchen seit Jahrhunderten in der Landwirtschaft eingesetzt wurden und sich das Reiten auf ihnen eher als Nebeneffekt entwickelt hatte. Wenn sich Patricia die nur mittelgroßen, aber kräftigen Tiere so betrachtete, vermochte sie, sie sich gut als Lastenträger oder vor dem Pflug vorzustellen.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, lehnte sie sich über die oberste Stange des Koppelzauns und verschränkte die Arme.
Die Ponys hatten sie bemerkt und hoben die Köpfe. Sechs Pferdegesichter blickten zu Patricia herüber, die Ohren gespitzt. Patricia lächelte unwillkürlich, es sah zu drollig aus.
»Na, findet ihr mich so komisch?«
Komisch wohl nicht, eher vielversprechend. Als sie Patricias Stimme hörten, setzten sich drei der Ponys in Bewegung und trotteten erwartungsvoll an den Zaun heran.
Und obwohl Patricia es eigentlich nicht wollte, konnte sie nicht anders – sie musste die weichen Nüstern streicheln und die Hälse klopfen. Das Ponyfell fühlte sich ganz anders an als das der Pferde, die sie gewohnt war. Obwohl auch diese Ponys derzeit ihr Sommerhaarkleid trugen, kam es ihr weicher und zottiger vor, fast wie das von Fohlen. Ihre Färbung wirkte auch fremd – ihr waren die großen Reitpferde vertraut, deren kurzes, glattes Fell in kräftigen Tönen variierte. Auch bei den Hochland-Ponies gab es die üblichen Schattierungen, viele von ihnen zeigten allerdings eher gedeckte Farben, wie Fahlgelb, Sandbraun oder Mausgrau – eine Färbung, die Patricia vorher noch nie gesehen hatte. Wildpferde eben, dachte sie.
Die drei Ponys am Zaun wurden ungeduldig. Besonders ein stämmiger Falbe fand offenbar, es sei genug der Zärtlichkeiten, und forderte Taten.
Patricia lachte hellauf, als er energisch den Ärmel ihrer Jacke, die sie um die Hüften geknotet trug, mit den Zähnen ergriff und daran rupfte.
»He, das ist nichts zu fressen!«
Der Falbe schnaubte und schlug mit einem Vorderhuf auf den Boden. Er wollte etwas zum Naschen, keine Frage.
Patricia tat es nun doch leid, dass sie nichts dabeihatte.
»Sorry, ich hab nichts!« Zum Beweis zeigte sie ihre leeren Handflächen.
Der Falbe schnoberte an ihren Händen und stieß mit der Schnauze dagegen, als er merkte, dass es nichts für ihn gab.
»Nun sei doch nicht gleich eingeschnappt«, sagte Patricia und zauste ihm die buschige Stirnlocke. »Das nächste Mal bring ich euch was mit, versprochen!«
Im nächsten Moment merkte sie, was sie da gesagt hatte. Das nächste Mal? Verdammt, es würde kein nächstes Mal geben!
Wie um sich selbst zu beweisen, dass es ihr egal war, was die Pferde von ihr hielten, zog sie rasch die Arme zurück und trat einen Schritt vom Zaun weg.
Die Ponys verstanden natürlich nicht, was ihren plötzlichen Sinneswandel verursachte, und blieben stehen. Patricia verhärtete sich innerlich gegen ihre dummen sentimentalen Anwandlungen aus früheren Zeiten und schaute regungslos zu, wie die drei sichtlich enttäuscht in einer Reihe am Zaun standen und darauf warteten, dass sie wieder näher kam.
Nein, das würde sie nicht tun. Bestimmt nicht.
Sie wandte den Blick von ihnen ab und ließ ihn über die Koppel schweifen.
Dabei entdeckte sie ein weiteres Pony, das in einigen Metern Entfernung stand und sie aufmerksam beobachtete. Im Gegensatz zum Rest der Herde hatte es ebenfalls mit dem Grasen innegehalten, als Patricia auftauchte, doch schien es zu scheu oder auch zu satt, um wie die drei anderen an den Zaun zu traben.
Es war eine Stute, ihr Fell war graubraun und erinnerte Patricia an ein Kaninchen, die dunkelgraue Mähne und die schwarzen Beine bildeten einen hübschen Kontrast dazu. Ihre Stirn wies einen kleinen hellen
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