Der Ruf der Pferde
mit Nachdruck aus dem Weg. »Hier ist überall leckeres Gras, das schmeckt viel besser!« Nach ein paar weiteren Anläufen hatten auch die anderen begriffen, dass es bei ihr nichts mehr zu holen gab, und wandten sich ab. Patricia ging nun langsam auf die Graue zu. Sie rechnete damit, dass diese die Flucht ergreifen würde, sobald sie ihr zu nahe kam, aber zu ihrer Freude blieb die Stute ruhig stehen und ließ nur kurz ihre Nüstern über das Gras streichen, bevor sie den Kopf wieder hob. Ihre Augen blieben dabei fest auf Patricia geheftet.
»Du bist ja eine Brave«, schmeichelte Patricia und bemühte sich, keine unverhoffte Bewegung zu machen, während sie immer näher an die Graue heranging. Sie legte das letzte Brotstück auf ihre Hand und hielt es ihr entgegen. Hoffentlich konnte das Tier die Leckerei sehen und lief nicht doch noch davon.
Doch sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Die Stute blieb friedlich und nahm das Brot mit einer Selbstverständlichkeit von Patricias Handfläche, dass das Mädchen sich fragte, weshalb sie sich derart gesorgt hatte.
Nein, scheu war die Stute nicht. Sie ließ sich streicheln und beschnoberte Patricias Hände und Gesicht, bis das Mädchen hell auflachte, weil die Haare an den Nüstern sie kitzelten.
»Da hast du mich aber ganz schön an der Nase herumgeführt«, sagte sie zu dem Pferd und zauste die regennasse Mähne. »Warum bist du denn nicht an den Zaun gekommen? Zu vornehm für so was?«
Die Stute schnaubte und stieß Patricia mit der Nase an. Patricia verstand die Aufforderung richtig und kraulte sie am Haaransatz der Mähne, was die meisten Pferde gern mochten. Die Graue schien es richtig zu genießen, sie hielt ganz still und stampfte mit dem Huf auf den Boden, wenn Patricia aufhören wollte.
»Ich kann doch hier nicht den ganzen Tag stehen und dich kraulen«, lachte Patricia.
Dies schien der Falbe auch zu meinen. Wohl im Glauben, Patricia füttere die Graue heimlich mit Leckereien, kam er nun ebenfalls heran und schnaubte die Stute mit angelegten Ohren an. Diese warf den Kopf hoch, legte ebenfalls die Ohren flach an und machte einen Satz zur Seite, dabei die Hinterhufe schlagbereit. Patricia, die über die unvermittelte Aggression erschrak, wich ebenfalls aus. Mit Enttäuschung schaute sie der Grauen hinterher, die in leichtem Trab davonlief.
Der Falbe, zufrieden über seinen Sieg, wandte sich nun wieder Patricias Manteltaschen zu, doch sie drehte sich weg.
»Du liegst falsch, wenn du glaubst, dass ich dir noch was gebe!« Sie fühlte richtigen Ärger auf das Pferd, das aus lauter Futterneid die Stute vertrieben und dadurch die kleinen zärtlichen Momente für Patricia so rüde beendet hatte.
Mit den Händen in den Taschen kletterte Patricia wieder auf den Weg zurück.
Im selben Augenblick hörte sie Stimmen und das dumpfe Poltern, das Pferdehufe auf dem weichen Boden des Feldweges verursachten.
Sie drehte sich um.
Oh, verflixt!
Im ersten Moment hoffte sie, man hätte sie noch nicht entdeckt und sie könnte sich hinter ein paar dornigen Büschen verbergen.
Doch vergebens, die Reitgruppe war bereits zu nahe.
Warum hatte sie bloß nicht aufgepasst!
Als Damian sie sah, richtete er sich im Sattel auf und winkte ihr lächelnd zu.
Patricia stand stocksteif.
Zum Glück grasten die Ponys auf der Koppel wieder in einiger Entfernung zum Zaun, Patricia wäre sich ertappt vorgekommen, wenn man sie beim Streicheln oder gar Füttern erwischt hätte.
»Hallo«, grüßte Damian und parierte sein Pferd durch. »Auch wieder unterwegs? Monty ist doch hoffentlich nicht schon wieder draußen gewesen?«
Patricia musste unwillkürlich lächeln.
»Nein, nicht dass ich wüsste«, erwiderte sie. »Zumindest bin ich ihm nicht begegnet.«
Scheiße, ging es ihr durch den Kopf, als ihr der Regenmantel einfiel. Was dachte Damian wohl von ihr – da lief sie in so einem ätzenden Outfit herum und hatte außerdem noch die bescheuerte Kapuze auf dem Kopf!
Rasch schob sie die Kapuze vom Kopf, zog den Mantel enger zusammen, wie um sich zu schützen.
Die anderen Reiter hatten inzwischen aufgeschlossen und standen mit ihren Ponys um Damian und Patricia herum. Das aufgebrezelte Püppchen befand sich diesmal nicht dabei, dafür erkannte Patricia unter ihnen das Mädchen mit dem langen Zopf, das damals mit an der Pension vorbeigeritten war und dabei so unbeholfen im Sattel hing. Michelle hieß sie, erinnerte sie sich.
Auch heute fühlte sich Michelle nicht besonders wohl auf
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