Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Beyrichen
Vom Netzwerk:
Leider ging das bloß schlecht, denn dann hätte sie sich mit ihr auf dieselbe Stufe gestellt. Deshalb biss sie die Zähne zusammen und versuchte, ihre Wut zu bezähmen.
    »Hast du noch nie was von Rücksichtnahme gehört?«
    »Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten.« Emily streckte die Hand aus. »Und jetzt gib meine Gerte her, aber dalli.«
    Den Teufel werd ich tun, dachte Patricia. Die Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, verkniff sie sich. Sie wusste, wenn sie jetzt nicht ging, passierte ein Unglück. Sie klemmte sich die Gerte fest unter den Arm und wandte sich wortlos ab.
    Dallis stand mit hängendem Kopf und halb geschlossenen Augen da. Patricia bemühte sich, ihre Fassung zu bewahren, doch in ihr schrie es. Es schien, als könnte sie die grenzenlose Erschöpfung der Stute am eigenen Leib spüren. Als würde ihr das Pony mit letzter Kraft sagen wollen: »Hilf mir!«
    Aber das musste natürlich Einbildung sein.
    Emily riss energisch am Zügel und hieb die blank polierten Reitstiefel in Dallis’ Seite. Sie trug Sporen, bemerkte Patricia erst jetzt. Und die spitzen Metallrädchen hatten bereits ihre sichtbaren Spuren an Dallis’ Flanken hinterlassen, offenbar hatte sie sie auch während des Ausrittes fleißig benutzt. Ein Schauer lief Patricia über den Rücken und für einen Augenblick überlegte sie, ob sie Emily vom Pferd zerren sollte.
    Doch dann dachte sie daran, dass Emily erfahrungsgemäß ohnehin gleich absitzen, das Pony am Balken anbinden und gehen würde, ohne sich noch weiter um ihr Tier zu kümmern. Diese halbe Minute würde die Stute noch überstehen. Am besten verdrückte sich Patricia irgendwohin, bis Emily weg war und sie Dallis für sich allein hatte.
    Sie zwang sich, in die entgegengesetzte Richtung zu blicken, und drehte sich nicht mehr um, als Emily das letzte Stück bis zum Haltebalken ritt.

16.
    Im Stall war es dunkel, die Boxen waren alle leer. Offenbar nutzte man das Gebäude nicht häufig, die Ponys verbrachten die meiste Zeit draußen.
    Patricia lehnte ihre Stirn an die kühlen Metallstäbe, mit denen die obere Hälfte der Boxen vergittert waren. Sie schloss ihre Augen und atmete tief durch. Ihre Knie fühlten sich an wie Pudding.
    Der Streit mit Emily hatte sie ziemlich mitgenommen, merkte sie. Eigentlich hasste sie Auseinandersetzungen, doch manchmal ließ es sich nicht vermeiden. Unglaublich, wie eiskalt diese Emily hinter der geleckten Fassade war. Wie konnte ein Mädchen, nicht älter als sie selbst, sich derartig herzlos verhalten! Patricia verstand es einfach nicht.
    Sie entsann sich, dass Emily während ihres Wortwechsels »Mein Vater sagt immer...« gesagt hatte. Und offenbar hatte sie die Einstellung ihres Vaters blind übernommen.
    Patricia musste unwillkürlich an ihren eigenen Vater denken, der niemals so gedacht, geschweige denn, sich derart geäußert hätte.
    Für Emilys Vater hingegen war offenbar nur eins wichtig: Geld. Und er hatte seine Tochter sichtbar erfolgreich dazu erzogen, es als einzigen Maßstab und gleichzeitig als Freibrief für unbeschränkte Machtausübung anzusehen – vollkommen egal, wer darunter litt.
    Und jetzt war es Dallis, die darunter litt.
    Patricia tat es in der Seele weh, wenn sie daran dachte.
    Ausgerechnet Dallis, die es ohnehin schon so schwer hatte!
    Sie sah die Augen der Stute vor sich, die so flehentlich zu blicken schienen.
    Und unwillkürlich kamen ihr die Wunden in den Sinn, die Dallis von den Sporen trug.
    Keine großen Wunden, natürlich – aber musste so was sein?
    Patricia wurde bewusst, dass sie noch immer Emilys Gerte in der Hand hielt. Voller Abscheu betrachtete sie den biegsamen Kunststoffstab. Sie selbst benutzte nie eine Gerte, nicht mehr seit ihren allerersten Reitstunden, als sie noch gedacht hatte, es gehöre dazu. Beim Dressurreiten war eine Gerte zwar tatsächlich obligatorisch, doch auch hier trug Patricia sie lediglich den Vorschriften entsprechend während der Prüfung bei sich.
    Nein, das konnte Emily absolut vergessen, dass sie das Ding von ihr zurückbekam!
    Bloß nützte das wahrscheinlich nicht viel, sie würde sich garantiert eine neue kaufen. Oder, wie Patricia bitter dachte, vermutlich kaufte ihr Daddy eine neue – damit seine kostbare Tochter Emily weiterhin ihr »gutes Recht« einfordern konnte!
    In plötzlicher Wut hob Patricia ihren Arm und schleuderte die Gerte mit aller Kraft von sich, irgendwo ins Dunkel des Stalles.
    »Autsch!« Ein plötzlicher Schmerz durchfuhr Patricia, ihre rechte

Weitere Kostenlose Bücher