Der Ruf der Pferde
war und warum, ob sie überhaupt noch lebte und wie, wusste Ethan bis heute nicht. Und inzwischen interessierte es ihn auch nicht mehr. Seinetwegen konnte sie bleiben, wo der Pfeffer wuchs. Und wenn jemand glaubte, dass er darauf wartete, wenigstens an seinem Geburtstag einen Anruf von ihr zu erhalten, wenn schon sonst nie Nachricht von ihr kam, dann hatten sie sich geschnitten. Als ob so ein dämlicher Geburtstag in irgendeiner Weise etwas Besonderes war!
Siebzehn Jahre, das Leben lag vor ihm, blabla! Die Sprüche seines Vaters wurden auch mit den Jahren nicht origineller, fand Ethan und er dachte voll Abscheu an den feierlichen Gesichtsausdruck und den salbungsvollen Tonfall Alastair Longmuirs, als dieser seinem Sohn die alljährlichen morgendlichen Gratulationsworte sprach. Was für ein Heuchler! Man konnte dabei fast glauben, sein Vater wäre stolz auf ihn! Ethan hätte ihm am liebsten in aller Deutlichkeit gesagt, was er von dieser verlogenen Schau hielt. Aber nein, er machte natürlich wieder gute Miene zum bösen Spiel und hielt die Klappe. An seinem Geburtstag musste man schließlich so tun, als gäbe es nichts, was das Verhältnis zwischen seinem Vater und ihm jemals trüben konnte. Ebenso, wie sein Vater ihm zwar an dreihundertvierundsechzig Tagen im Jahr zu verstehen gab, dass er ihn für einen Versager hielt, aber natürlich nicht an seinem Geburtstag . . .
Auf die verlogenen Geburtstagsgeschenke hätte Ethan auch verzichten können. Aber natürlich hatte sich sein Vater wieder nicht lumpen lassen. Eine neue Reithose war das Erste, was Ethan am Morgen auf dem Frühstückstisch vorfand, und neben einigen Kleinigkeiten lag auch wie jedes Jahr ein sorgfältig verschlossener Umschlag da. Ethan wusste, was darin war, ohne dass er ihn öffnen musste, und ihm war auch klar, dass sein Vater dafür ausgiebigen Dank erwartete. Oh vielen Dank, Dad, das ist wirklich großzügig von dir, es wäre doch nicht nötig gewesen, und so weiter, dachte Ethan bitter. Was anderes wäre es, wenn er das Geld wenigstens für etwas ausgeben dürfte, das ihm wirklich Freude machte. Er wusste allerdings aus Erfahrung, dass sein Vater später nachzufragen pflegte, und falls er ihm statt einer Angelausrüstung oder einiger Exemplare lehrreicher Bücher dann eine Wechselfestplatte oder die neueste CASE-Software präsentierte, war gleich wieder die Hölle los. Und darauf hatte Ethan keine Lust mehr.
Genauso wenig wie auf den ganzen Geburtstag.
Aus diesem Grund hatte sich Ethan nach dem Mittagessen verdrückt, bevor sein Vater auf die Idee kommen konnte, ihn zur Feier des Tages mit hinüber in die Destillerie zu nehmen. Es wäre ihm zuzutrauen, dass er dort einen Empfang oder was anderes Peinliches organisiert hatte, um den Arbeitern und Angestellten ebenfalls Gelegenheit zu geben, dem Juniorchef zu gratulieren. Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass Alastair Longmuir angesichts Ethans bevorstehenden Schulabschlusses die Schlinge, die ihn an den Familienbetrieb fesseln sollte, ohnehin schon immer enger zog.
Nein, Ethan beschloss, den Tag genauso zu verbringen, wie es ihm gefiel, und mit genau dem Menschen, den er am liebsten um sich haben wollte.
Er hatte Silas natürlich nicht verraten, dass es sich um seinen Geburtstag handelte. Womöglich hätte sich der alte Mann dann auch noch verpflichtet gefühlt, irgendeinen Aufstand zu machen. Ethan kam einfach so vorbei, ein Zwischenstopp beim Ausritt mit Sonny, wie er es auch sonst öfter tat. Auf einen Schwatz und eine Tasse Tee oder ein Glas Saft.
Es hatte auch wunderbar geklappt, Silas freute sich über seinen Besuch und Ethan konnte sich zum ersten Mal an diesem Tag ein wenig entspannen.
Bis die Tür aufging und das Mädchen hereinkam. Patricia.
Ethan schloss die Augen und ballte unwillkürlich die Fäuste, als er die Szene noch einmal vor Augen hatte. Was war er sauer gewesen!
Allerdings musste er zugeben, dass Patricia in diesem Augenblick mindestens genauso belämmert dreinschaute wie er selbst. Der Schreck in ihrem Gesicht bei seinem Anblick tat Ethan irgendwie gut. Sie hatte wohl ein schlechtes Gewissen, die Zicke, dachte er mit Genugtuung. Tja, das kam davon, wenn man unbekannten Leuten so unverschämt kam – man konnte eben nie sicher sein, ihnen nie wieder zu begegnen!
Dass eigentlich er selbst derjenige gewesen war, der sich bei ihrer ersten Begegnung damals danebenbenommen hatte, blendete Ethan dabei aus.
Ethan hatte ihre Verletzung an der Hand schon bemerkt, noch
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