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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Beyrichen
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bevor Damian es dem alten Silas erzählte. Geschah ihr ganz recht, war Ethans erste Reaktion. Und nachdem ihr Gesicht bereits beim Hereinkommen ganz bleich und angespannt aussah, konnte sie scheinbar kein Blut sehen. Sonst riskierte sie gern die große Klappe, aber beim kleinsten Wehwehchen klapperte sie mit den Zähnen, typisch!
    Ethan wunderte sich dann allerdings doch ein wenig, wie gleichmütig Patricia Silas’ Behandlung ertrug. Ahnte er doch, dass diese gemein wehtat. Ethan kannte schließlich Silas – der alte Mann war halb blind und litt unter Arthritis, weshalb ihm schon normale Tätigkeiten mit seinen Händen oft schwerfielen. Für derartig filigrane Dinge wie das Entfernen eines Splitters aus einer Wunde war er die verkehrteste Person, die man sich aussuchen konnte. Damian sollte das eigentlich wissen, fand Ethan, immerhin arbeitete er schon lange genug mit Silas zusammen.
    Aber vermutlich hatte Damian nicht nachgedacht. Oder es war ihm egal gewesen. Ethan traute dem jungen Reitlehrer durchaus zu, dass er erleichtert war, eine unangenehme Arbeit an jemanden anderes abschieben zu können. Ethan hatte nichts gegen Damian, wechselte auch gelegentlich ein Wort mit ihm, vermochte allerdings mit dessen etwas oberflächlicher Art nicht viel anzufangen und teilte daher die allgemeine Begeisterung über ihn nicht ganz so uneingeschränkt.
    Patricia schien von ihm allerdings recht angetan. Was sie wohl davon hielt, dass Damian sie einfach an den alten Silas weiterreichte, als er mal etwas für sie hätte tun können?
    Was sie dachte, als Silas endlich aufgab und Ethan um Hilfe bat, war hingegen sehr deutlich zu erkennen, denn ihr Gesicht spiegelte eine Mischung aus Überraschung und Zorn wider.
    Ethans eigene Verblüffung hielt sich in Grenzen. Er hatte so etwas erwartet und sich eher darüber gewundert, dass Silas ihn jetzt erst fragte. Ärgern tat es ihn trotzdem, er wollte mit der Zicke nichts zu tun haben und jetzt durfte er auch noch bei ihr Krankenschwester spielen!
    Andererseits war es Silas, der ihn darum bat, und ihm konnte er einfach nichts abschlagen. Außerdem sollte Patricia bloß nicht glauben, dass er Angst vor ihr hatte! Also tat er, was getan werden musste – schließlich war er sie umso schneller wieder los, je eher das Ganze erledigt war.
    Auf den Schlag, der ihn traf, als er ihre Hand in seine nahm, war Ethan allerdings nicht gefasst.
    Mädchen interessierten ihn normalerweise nicht sonderlich. Sein Freund Tom versuchte zwar mit schöner Regelmäßigkeit, ihn zu verkuppeln, aber Ethan entschied sich nach einigen halbherzigen Dates jedes Mal dagegen. Denn er hatte immer im Hinterkopf, dass er eigentlich lieber am Computer sitzen würde als mit einem aufgestylten Mädchen in einem Café.
    Das war wohl auch ein Grund dafür, dass er nicht gezögert hatte, Patricia so anzuraunzen, als er sie damals an seinem Lieblingsplatz vorfand. Die meisten seiner Freunde hätten wohl eher einen Flirt versucht, Ethan hingegen kam überhaupt nicht auf die Idee, in Patricia das Mädchen zu sehen. Sie war nur ein Störenfried, sonst nichts.
    Auch bei ihrer heutigen Begegnung empfand er es anfangs nicht anders. Zumal Patricia auf den ersten Blick kein außergewöhnlich attraktives Mädchen war. Sie war zwar nicht hässlich, keineswegs, sondern sah mit ihren blauen Augen und dem blonden Pferdeschwanz hübsch und niedlich aus, aber Ethan fand wirklich nichts Beeindruckendes an ihr.
    Doch dann war er gezwungen, sie anzufassen. Ihre Hand war klein und schmal, ebenso wie ihre ganze Gestalt, aber er spürte die Kraft, die sich dahinter verbarg. Eine Hand, auf die man sich verlassen konnte, dachte er spontan.
    Ethan seufzte und rieb sich die Augen. Was grübelte er da für einen Quatsch zusammen? Er war hundemüde, warum konnte er trotzdem nicht schlafen?
    Und warum, verdammt noch mal, ging ihm diese Patricia so im Kopf herum?
    Er sah sie vor sich, das zarte, ungeschminkte Gesicht und die hellen blauen Augen, die ihn geradeheraus anblickten. Nichts von diesem Gekicher und Gezwinker, das er von anderen Mädchen her kannte, sondern direkt und offen und man konnte deutlich erkennen, dass sie ganz sicherlich nichts weniger im Sinn hatte als einen Flirt. Im Gegenteil, sie mochte ihn genauso wenig wie er sie.
    Oder redete er sich das nur ein?
    Ethan wusste überhaupt nicht mehr, was er denken sollte.
    Patricia hatte sich heute ja eigentlich gut gehalten. Nicht rumgezickt, sondern vernünftigerweise akzeptiert, was sein musste.

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