Der Ruf der Pferde
senkte den Kopf und streckte ihr vertrauensvoll die Nüstern entgegen.
Und als Patricia ihr die Arme um den Hals legte, den Kopf an ihrer Schulter verbarg und hemmungslos zu schluchzen begann, hielt Dallis ganz still.
Als die Stalltür knarrte, schreckte Patricia aus ihren Gedanken hoch. Auch Dallis spitzte die Ohren und drehte den Kopf dem neuen Besucher entgegen.
Patricia blinzelte, als das Licht aufflammte, und während sie sich wachsam aufrichtete, merkte sie, dass ihr das Bein eingeschlafen war.
»Patricia?«
Ethans Stimme.
»Ich bin hier«, rief sie leise, stand ein wenig mühselig auf und begann, sich das Stroh von der Kleidung zu zupfen.
»Hab mir doch gedacht, dass ich dich hier finde.« Ethan sah über die Boxenwand und Patricia verspürte wieder das Kribbeln im Magen, als sich ihre Blicke begegneten.
»Wie spät ist es eigentlich?« Ein wenig verlegen schob sie ihren Jackenärmel zurück, nur um festzustellen, dass sie ihre Armbanduhr vergessen hatte.
»Gleich elf.«
»Echt, schon?« Patricia war ehrlich verblüfft. Sie saß also bereits seit mehreren Stunden bei Dallis! So lange war es ihr gar nicht erschienen, offenbar war ihr bei der stillen Zwiesprache mit der kleinen Grauen jedes Zeitgefühl abhanden gekommen. Patricia hatte ihr Beisammensein jedenfalls unendlich genossen. Und sie hoffte, dass auch Dallis sich über ihre Gesellschaft freute.
Aber eigentlich hatte ihr Dallis das sehr deutlich gezeigt.
»Wie lange bist du denn schon da?« Ethan lächelte, er hatte ihre Verwirrung bemerkt.
»Ich glaub, seit halb acht oder so«, murmelte Patricia. »Keine Ahnung.«
Ethan nickte nur. Mit keinem Wort ging er auf ihre vom Weinen immer noch geröteten Augen ein, obwohl ihm das sicher nicht entgangen war.
Er betrachtete das Pony. »Wie geht’s ihr denn heute?«
Patricia folgte seinem Blick. »Wieder recht gut, glaube ich. Sie scheint sich vollkommen beruhigt zu haben und die Wunden sind gut verschorft. Nichts entzündet.«
Ethan strich sanft über Dallis’ Nüstern.
»Na, wenigstens das«, sagte er.
Patricia sah ihn ängstlich an. Gab es schlechte Neuigkeiten?
Doch Ethan schien bei seiner Bemerkung nichts Hintergründiges im Sinn gehabt zu haben.
»Wie steht’s mit dir?«, erkundigte er sich nun. »Alles so weit okay?«
»Klar, was soll denn mit mir sein?« Patricia milderte ihre etwas schnippische Antwort mit einem dankbaren Blick. Irgendwie tat es gut, dass er fragte. Bei ihren Eltern hatte sie so etwas immer genervt, bei Ethan hingegen merkwürdigerweise nicht.
Er schien auch sehr wohl zu wissen, dass mit ihr eigentlich nichts okay war. Doch er sah sie nur für einen Moment forschend an und nickte dann.
»Ich dachte, vielleicht hast du ja Hunger oder so. Könnte doch sein, dass du heute keine Zeit fürs Frühstück gefunden hast.«
In seinen Augenwinkeln blitzte es humorvoll und Patricia musste unwillkürlich ebenfalls lächeln.
»Du hast recht«, gab sie zu. »Ich hätte heute Morgen sowieso nichts runtergebracht. Aber inzwischen könnte ich tatsächlich was vertragen.« Sie wies auf Dallis, die in aller Ruhe ein Büschel nach dem anderen aus der Raufe zog und genüsslich kaute. »Ich hab ihr vorhin einen Armvoll Heu gebracht und sie ist seitdem die ganze Zeit am Fressen. Und das Zuschauen hat mir richtig Hunger gemacht.«
Ethan grinste. »Nun ja, wenn du so großen Appetit auf Heu hast, könnte ich dir bestimmt auch noch eine Portion organisieren. Ich dachte aber eigentlich mehr an eine Pizza oder ein paar Donuts oder so was.«
»Hast du denn was dabei!« Patricia sah erstaunt drein.
Ethan schüttelte den Kopf. »Wir könnten vielleicht den Bus nehmen und in die Stadt fahren, das ist gar nicht so weit. Ich kenn eine Pizzabude, die machen wirklich gute Pizza. Ich lad dich ein. Hättest du Lust?«
Auf Patricias Gesichtsausdruck hin räusperte er sich. »Wenn dir das zu stressig ist, können wir uns natürlich auch was unten im Ort holen. Ein Sandwich werden wir da sicher kriegen.«
»Hm, ich weiß nicht . . .« Patricia zögerte und schaute unschlüssig zu Dallis hinüber.
Durfte sie die Stute so einfach allein lassen? Was, wenn genau während ihrer Abwesenheit die Entscheidung fiel?
»Na komm schon!« Ethan ahnte, was ihr durch den Kopf ging. »In den ein oder zwei Stunden wird schon nichts passieren!« Er sah sie aufmunternd an. »Außerdem«, fügte er noch hinzu, »falls du vorhast, weiterhin auf Dallis aufzupassen, solltest du bei Kräften bleiben. Du wirst sie
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