Der Ruf der Steine
Hause fort ist«, gab Connie zu bedenken. »Er verknüpft alle Gedanken an Linda mit seinem Zuhause. In diesem Fall kann ein plötzlicher Ortswechsel durchaus den Trennungsschmerz erneut wachrufen.«
Peter dachte darüber nach. Es klang plausibel. Doch das Feuer erklärte sich so nicht. Und Lindas Wunsch ebenso wenig, dachte er. Doch weiter wollte er die Psychoanalyse nicht vertiefen – dazu war die Nacht viel zu schön. Mit leisem Plätschern kehrte die Flut zurück, und ein sanfter Wind strich über die Küste. Der Himmel war schwarz wie Samt, und in der klaren Luft schimmerten die Sterne. Beim besten Willen konnte Peter sich nicht mehr erinnern, wann er zuletzt mit einer Frau an einem Strand entlanggegangen war.
Nachdem Andy eingeschlafen war, hatten sie zunächst zu viert Karten gespielt. Um zehn hatten Sparky und Jackie sich zu einer weiteren Honeymoon-Nacht zurückgezogen, und Connie und Peter hatten eine Weile auf der Veranda gesessen und sich unterhalten, bis Peter den Spaziergang vorgeschlagen hatte. Sie hatten den anderen eine Nachricht hinterlassen und die Richtung zum Pulpit’s Point eingeschlagen.
Auf diesem Weg wurde es Peter wieder einmal schmerzlich bewusst, wie einsam er in den letzten Jahren gelebt hatte. Er hatte sich immer wieder eingeredet, dass nach Linda keine Frau mehr für ihn in Frage kam, und alle Versuchungen stets weit von sich gewiesen. Stattdessen träumte er von ihr – wie sie summend ihre dicken schwarzen Haare vor dem Spiegel kämmte, wie aufgeregt sie war, als sie erfahren hatte, dass sie schwanger war, und wie sie ihm beigebracht hatte, aus hauchdünnem Teig, Ziegenkäse und Kräutern delikate Gerichte zu zaubern. Er sah noch genau vor sich, wie sie bei Andys ersten Schrittchen gestrahlt hatte, und er erinnerte sich an ihre Leidenschaft, die man unter diesen regelmäßigen Zügen nicht unbedingt vermutete.
Eines Nachts hatte Linda im warmen Kokon ihres Bettes ihren mystischen Neigungen nachgegeben und Peter schwören lassen, dass er zu ihr zurückkehren würde, sollte er einmal vor ihr sterben. So kurz nach dem Liebesakt hatte der Gedanke an Sterblichkeit sein hämmerndes Herz bis ins Innerste getroffen. Als Rationalist hatte er ihr erklärt, dass er weder an ein Leben nach dem Tod noch an Geister glaubte. Linda jedoch war religiös und hatte ihren Vorschlag durchaus ernst gemeint. »Es gibt nichts Entsetzlicheres auf der Welt als den Tod einer Mutter«, hatte sie voller Ergriffenheit gesagt. »Falls mir so etwas zustoßen sollte, Peter, werde ich – so wahr mir Gott helfe! – einen Weg finden, um wieder zurückzukehren. Dessen kannst du sicher sein.« Lange hatte Peter nur still dagelegen und Lindas wundervoller Stimme gelauscht. Damals hatte sie ihn fast überzeugt, dass ihr starker Wille ihr tatsächlich eines Tages die Rückkehr ins Leben bahnen würde.
Seine Linda, die jeden Raum, den sie betrat, sofort beherrschte. Mit ihr hatte Peter das große Los gezogen. Verglichen mit ihr waren alle anderen Frauen bedeutungslos und langweilig – Shakespeares Dark Lady ebenso wie Homers Helena oder Scheherazade.
Während er in dieser Nacht mit Connie am Strand entlangging, wurde ihm so richtig bewusst, wie sehr er sich bis auf den heutigen Tag selbst bestraft hatte. Ein solcher Spaziergang war sehr viel gesünder als die ewige Ehe mit einem Geist. Er hatte keine Ahnung, wohin die Sache führte, doch während der letzten Tage hatte er sehr viel öfter an Connie als an Linda gedacht. Offenbar schien die Trauerzeit allmählich zu Ende zu gehen. Er wollte Connie gern sagen, wie sehr er das Zusammensein mit ihr genoss. Aber vermutlich wusste sie es längst. Manchmal blieben Dinge besser ungesagt.
»Geht es dir gut?«, fragte sie, als sie seinen Seitenblick bemerkte.
»Aber ja.« Er räusperte sich. »Warum fragst du?«
Sie beleuchtete sein Gesicht mit ihrer Mini-Taschenlampe. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Sie wischte sie mit einem Papiertaschentuch ab. »Es sieht ganz so aus, als ob du gleich einen Hitzschlag bekämst.«
Er mochte diese Geste. »Kann schon sein.«
»Mitten in der Nacht?«
»Die Hitze der Gedanken.«
»Uh-oh.« Sie ergriff seine Hand.
Am Fuß von Pulpit’s Point sagte er: »Seit drei Jahren habe ich nicht mehr Händchen gehalten.«
»Dafür machst du es aber ausgezeichnet.« Ihr Lachen klang wie ein Glockenspiel. »Falls es dich interessiert: es geht mir ähnlich.«
Sie stiegen zur Klippe hinauf.
Wie eine Traumkulisse lag das Meer zu
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