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Der Ruf der Steine

Der Ruf der Steine

Titel: Der Ruf der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Goshgarian
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hatte es ihn gelockt. Ein eigenes Troja als Belohnung für sein unermüdliches Graben und Forschen.
    Es geht in Erfüllung, hatte sie gesagt.
    Er trat näher zum Licht. Die Radierung wirkte echt. Warum hätte sich jemand die Mühe machen sollen, eine solche Darstellung zu fälschen? Und vor allem – zu welchem Zweck? Ganz abgesehen davon, blieb die Darstellung des Steinkreises, so ungeschickt und grob sie auch ausgeführt war, von Zweifeln unberührt. Die Topographie von Pulpit’s Point stimmte in allen Einzelheiten mit der Wirklichkeit überein, und auch die ausgegrabenen Steine schienen denen im Vordergrund in Größe und Form zu entsprechen. Sogar das abgeflachte Ende eines der Steine war exakt wiedergegeben. Das konnte nur bedeuten, dass sich am Ende des siebzehnten Jahrhunderts auf Pulpit’s Point, dem damaligen Druid’s Head, ein keltischer Steinkreis befunden hatte, in dem Brigid Mocnessa wegen Hexerei und ihr missgebildeter Sohn wegen satanischer Abkunft verbrannt worden waren.
    »Wer hat diese Steine errichtet?«
    »Mein Volk.«
    »Ihr Volk? Sie meinen, Ihre Familie?«
    »Ja.«
    »Wissen Sie, wann das war?«
    Die Frau zuckte die Schultern. »Brigid hat Lydia etwas von tausend Jahren erzählt – tausend Jahre, bevor die Weißen kamen.«
    »Tausend Jahre – demnach sprechen wir vom sechsten Jahrhundert.«
    »Glauben Sie wirklich, dass alles erst mit der Mayflower begonnen hat?«
    Peters Hals war wie ausgetrocknet, und sein Herz hämmerte. Immer mit der Ruhe, ermahnte er sich. Wenn du dich zu schnell bewegst, löst sich die Realität womöglich auf, und die weißen Kaninchen hüpfen wieder durchs Zimmer. »Woher kam Ihre Familie?«
    »Die Abnakis stammen aus dem Norden.«
    Die Abnakis waren Neu-Englands nördlichster Indianerstamm. Im Gegensatz zu anderen waren sie nicht durch Epidemien und Kämpfe mit den Europäern aufgerieben worden. »Demnach haben die Abnakis den Steinkreis errichtet?«
    »Das habe ich nicht gesagt, Mister. In meinen Adern fließt auch weißes Blut. Die Mocnessas stammen aus Irland.«
    »Aus Irland? Woher wissen Sie das?«
    »Lydia hat es von Brigid erfahren. Es steht alles hier drin.« Sie klopfte auf den Einband des Tagebuchs. »Sie schreibt, dass unsere Leute fortgingen, als die Priester die Leute bekehrten und die alten Götter verjagten.«
    »Die alten Götter?«
    »Die Kelten verehrten Götter, die in Eichen wohnten, und noch andere, die lange vor Christus regierten.«
    »Sie sind also fortgegangen?«
    »Genau – oder sie wurden getötet.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass Ihre Vorfahren Kelten waren und über den Atlantik bis hierher gesegelt sind?«
    »Ja. Sie segelten über das Meer und errichteten ihre Steine an einem geeigneten Ort – genau wie in der alten Heimat. Diese Steine haben sie überdauert.«
    Aufmerksam forschte Peter in ihrem Gesicht nach irgendwelchen Anzeichen der Unsicherheit, aber vergeblich. Sie glaubte felsenfest an das, was sie sagte.
    Und ihm ging es nicht anders.
    Plötzlich war alles klar – wie ein Foto, das sich vor seinen Augen entwickelte. Alles war Teil eines großen Plans. Er hatte das eigenartige Gefühl, das er im vergangenen Monat auf dem Sandhügel verspürt hatte, als Warnung gedeutet. Dabei war es eine Vorahnung gewesen. Genau. Seit Monaten entwickelte sich alles in dieselbe Richtung – mit der Streichung seiner Grabung in New Hampshire hatte es begonnen. Alles passte perfekt zusammen. Alle Ereignisse der vergangenen Wochen gehörten zu diesem Plan und hatten ihn zielsicher zu dem Sandhügel auf Pulpit’s Point geführt, der seiner Entdeckung harrte.
    Peter ließ das Licht auf die Radierung fallen. Ein Steinkreis, den keltische Pilger eintausend Jahre vor der Mayflower errichtet hatten. Seine Hände zitterten. Er musste sofort zur Klippe zurückkehren, denn es blieben ihm nur noch siebzehn Tage. Siebzehn Tage, um die größte archäologische Sensation zu belegen. Er musste schleunigst zu den Steinen zurückkehren, denn die Aussichten waren einfach umwerfend.
    Die Frau hüllte das Tagebuch wieder in die Folie ein.
    »Ich würde es mir gern noch einmal ansehen, falls Sie nichts dagegen haben.«
    Doch sie reagierte nicht und versenkte das Buch in einer Tasche.
    Er würde sie später noch einmal darum bitten. Vermutlich war das Buch eine historische Goldmine.
    »Sie haben sie verbrannt«, sagte sie. »Die untadeligen Christen von Boston haben sie und ihr Baby verbrannt. Und außerdem alles, was ihr gehörte. Sie hielten alles für

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