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Der Ruf der Steine

Der Ruf der Steine

Titel: Der Ruf der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Goshgarian
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ganz klein wenig emporglitt, während sich seine Beine wie hydraulische Stützen in den Boden rammten.
    Die Erde dröhnte, als der gewaltige Stein seinen Platz einnahm.
    Peters Lunge explodierte. Sein Gesicht war klatschnass, und seine Schultern schmerzten unerträglich.
    Aber der Stein stand senkrecht – wie ein Zeigefinger wies er zum Himmel empor.
    Peter war nicht im Geringsten überrascht. Vom ersten Moment an hatte er gewusst, dass er ihn würde bewegen können. Es war eine Sache des Glaubens. Wie Samson einst die Säulen des Tempels niedergerissen hatte – nur umgekehrt.
    Peter.
    Er fuhr herum, weil er dachte, dass Connie heraufgekommen wäre.
    Ich habe auf dich gewartet.
    »Hm?«
    Die Scheinwerfer des Baggers tauchten die Umgebung in helles Licht, aber es war niemand zu sehen.
    Peter, ich werde stärker.
    »Linda?« Er konnte kaum atmen, so sehr bebte er innerlich. »Wo bist du?« Er drehte sich um sich selbst, aber die Klippe war leer.
    Ganz nah bei dir.
    »Wo?« Er konnte die Stimme deutlich hören, aber aus welcher Richtung sie kam, konnte er nicht feststellen.
    Hier.
    Sein Kopf fuhr zur anderen Seite herum, und sein Blick fiel auf das letzte Viertel des Hügels, aus dem die Wünschelrute wie ein leuchtender Pfeil herausragte.
    Im ersten Moment glaubte er, dass ihm schwindlig wäre, wie wenn er nach dem Aufwachen zu schnell aufgestanden wäre. Doch sein Blick war klar. Über der Wünschelrute bewegte sich etwas. Nichts Körperliches, eher formlose Gelatine. Er fixierte die Erscheinung genauer. Es sah aus, als ob aus einem winzigen schwebenden Punkt heiße Luft austräte, aber eine genaue Quelle konnte er nicht erkennen. Der Mond dahinter schlug Wellen – eine verzerrte krebsrote Riesenkrabbe vor einem schwarzen Himmel.
    »Linda?«
    Ja, Peter. Ich bin es. Linda. Deine Linda.
    Es war eindeutig ihre Stimme, doch seltsam körperlos. Aber das war klar, schließlich war sie ja nicht lebendig. Es war ihre geistige Form, die mit ihm sprach. Ihr Geist – das Ektoplasma seiner Linda. Er hörte die Stimme direkt in seinem Kopf.
    Peter, ich werde stärker.
    »Linda …«, flüsterte er. Er blinzelte, um die Schwaden besser fixieren zu können. »Im Sumpf – das warst du.«
    Ja.
    »Du hast mir das Leben gerettet.«
    Ja, Peter, ich habe dir das Leben gerettet.
    »Und du hast mich hierher geführt.«
    Um die Steine aufzurichten …
    »Ich werde es tun, mein Schatz. Das verspreche ich.«
    Um mich stark zu machen …
    »Um dich stark zu machen?«
    Damit ich zurückkommen kann.
    »Zurück zu mir?«
    Ja. Ja.
    »Aber … wie soll das gehen, Linda?«
    Du musst etwas tun, Peter.
    Dunkle Wirbel kreisten in seinem Kopf, und vor Schwäche war er auf die Knie gesunken. »Ja, ich bin zu allem bereit.«
    Kreischend schrie eine Möwe irgendwo in der Dunkelheit.
    Du weißt es, Peter.
    »Nein, ich weiß es nicht. Sag es mir!«
    Doch, Peter, du weißt es schon die ganze Zeit.
    »Was soll ich wissen? Bitte …«
    Wieder schnitt der Schrei der Möwe durch die Nacht.
    Andy.
    »Wie bitte?«
    Ich möchte ihn haben.
    »Nein, Linda. Nein.«
    I CH M ÖCHTE I HN H ABEN .
    »Aber er ist mein Sohn.«
    Einen Moment später war alles vorbei und die Luft wieder völlig unbewegt.
    Sie war verschwunden, und an ihrer Stelle blickte ein geschrumpfter Mond tadelnd auf ihn herunter.
    »Aber er ist doch mein Sohn.«

 

    28
    Der Himmel war weiß.
    Er beobachtete, wie die Sonne als blutige Oblate aus dem Wasser emportauchte. Um sechs Uhr war sie bereits heiß, stechend heiß und weiß. Ein schlimmer Tag stand bevor.
    Seit fünf Stunden saß er nun auf der Veranda, hatte den Mond verblassen sehen und Rauchgeruch wahrgenommen. Der letzte Rest des Pfirsichs war braun geworden, und Insekten krochen auf ihm herum. Das Messer lag noch auf dem Tisch.
    Als sein Blick darauf fiel, meldete sich eine leise Stimme in seinem Kopf: Verlasse die Insel. Geh fort, solange noch Zeit ist. Pack deinen Sohn und lege so viele Meilen wie möglich zwischen dich und diese verdammten Steine. Sollen andere sich darum kümmern. Sollen sie die Klippe ruhig in die Luft sprengen und alles zu Staub zermalmen. Fahr weg, fahr möglichst schnell weg.
    Aber dann übertönte ein lautes Knattern die Stimme.
    Er ergriff das Messer und ging ins Haus. Ihr Schlafzimmer lag ganz hinten im Flur. Die Treppenstufen ächzten unter seinen Schritten. Durch die geschlossenen Türen hörte er, wie die anderen sich in ihren Betten herumwälzten. Leise betrat er sein Zimmer und schloss die

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