Der Ruf Der Trommel
unserer Reise nach Norden angewöhnt, Jamie und die anderen nach jeder Schlafpause zu kontrollieren; es gab immer Vorreiter.
»Igitt«, sagte ich, während ich ein besonders saftiges Exemplar von der Größe einer Traube betrachtete, das in dem weichen, zimtfarbenen Haar in Jamies Achselhöhle prangte. »Verdammt. Ich traue mich nicht, sie herauszuziehen, sie ist so vollgesogen, daß sie wahrscheinlich platzt.«
Er zuckte mit den Schultern, während er mit der anderen Hand seine Haare nach weiteren Eindringlingen durchforstete.
»Laß sie in Ruhe und kümmere dich um die anderen«, schlug er vor. »Vielleicht fällt sie von selbst ab.«
»Das sollte ich wohl«, stimmte ich zögernd zu. Von mir aus konnte die Zecke platzen, aber nicht, solange ihre Kiefer noch in Jamies Haut steckten. Ich wußte, wie eine Infektion aussah, die von einer gewaltsam entfernten Zecke herrührte, und damit wollte ich es mitten im Wald wirklich nicht zu tun bekommen. Ich hatte nur eine rudimentäre medizinische Ausrüstung bei mir - diese enthielt allerdings glücklicherweise eine sehr schöne Pinzette aus Dr. Rawlings’ Kiste.
Myers und Ian schienen gut zurechtzukommmen; beide hatten den Oberkörper entblößt, und Myers hockte über dem Jungen wie ein riesiger
Pavian und machte sich mit den Fingern in Ians Haar zu schaffen.
»Hier ist’ne kleine«, sagte Jamie, beugte sich zu mir herüber und schob das Haar zur Seite, so daß ich nach der kleinen, dunklen Erhebung hinter seinem Ohr greifen konnte. Ich war dabei, das Tierchen sanft herauszudrehen, als mir bewußt wurde, daß jemand neben mir stand.
Als wir unser Lager aufgeschlagen hatten, war ich zu müde gewesen, um besonders auf unsere Flüchtige zu achten, denn ich hatte zu Recht angenommen, daß sie sich nicht allein in die Wildnis davonmachen würde. Allerdings war sie bis zu einem Bach in der Nähe spaziert und mit einem Eimer Wasser zurückgekehrt.
Diesen stellte sie jetzt ab, schöpfte eine Handvoll Wasser und ließ es in ihren Mund laufen. Einen Moment lang kaute sie heftig mit aufgeblasenen Wangen. Dann winkte sie mich beiseite, hob zu Jamies Überraschung seinen Arm hoch und spuckte ihm kräftig in die Achselhöhle.
Sie griff in die tropfende Höhlung und schien den Parasiten vorsichtig mit den Fingern zu kitzeln. Mit Sicherheit kitzelte sie Jamie, der in dieser Gegend sehr empfindlich war. Er wurde rot im Gesicht und zuckte bei ihrer Berührung erschauernd zusammen.
Doch sie hielt ihn am Handgelenk fest, und innerhalb von Sekunden fiel ihr die pralle Zecke in die Handfläche. Sie schnippte sie verächtlich weg und wandte sich mit einem Hauch von Genugtuung zu mir.
Solange sie in ihren Umhang gewickelt war, hatte ich geglaubt, daß sie einer Kugel ähnelte. Doch ohne Umhang sah sie auch nicht anders aus. Sie war sehr klein, keine anderthalb Meter groß und fast genauso breit. Ihr kurzgeschorener Kopf erinnerte an eine Kanonenkugel, und ihre Wangen waren so rund, daß die Augen darüber zu Schlitzen verengt waren.
Sie hatte große Ähnlichkeit mit den geschnitzten afrikanischen Fruchtbarkeitsidolen, die ich auf den Westindischen Inseln gesehen hatte - mächtige Brüste, schwere Hüften und die tiefe Röstkaffeefarbe der Kongolesen. Ihre Haut war so makellos, daß sie unter dem dünnen Schweißfilm aussah wie polierter Stein. Sie hielt mir die Hand hin und zeigte mir ein paar kleine Gegenstände in ihrer Handfläche, die in etwa die Größe und Form getrockneter Limabohnen hatten.
»Pah-pah«, sagte sie mit einer so tiefen Stimme, daß selbst Myers ihr überrascht den Kopf zuwandte. Es war eine laute, volle Stimme,
volltönend wie eine Trommel. Als sie meine Reaktion darauf sah, lächelte sie ein wenig schüchtern und sagte etwas, was ich nicht ganz verstand, obwohl ich wußte, daß es Gälisch sein mußte.
»Sie sagt, du darfst die Samen nicht hinunterschlucken, weil sie giftig sind«, übersetzte Jamie und betrachtete sie ziemlich argwöhnisch, während er sich die Achselhöhle mit einem Zipfel seines Plaids abwischte.
»Hau«, stimmte Pollyanne zu und nickte heftig. »Gif-tick.« Sie bückte sich über ihren Eimer und schöpfte noch eine Handvoll Wasser, spülte sich damit den Mund und spuckte es gegen den Felsen. Es knallte wie ein Gewehrschuß.
»Damit könntest du anderen ganz schön gefährlich werden«, sagte ich zu ihr. Ich wußte nicht, ob sie mich verstand, doch aus meinem Lächeln schloß sie, daß meine Absichten freundschaftlich waren; sie
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