Der Ruf Der Trommel
ins Wasser zeichnen.«
Seine Augen waren jetzt offen und auf das wogende Grasmeer auf dem Hügel gerichtet, doch ich wußte, daß er statt dessen die gekräuselte Oberfläche des winzigen Lochs in der Nähe von Lallybroch sah.
»Es dauert nur einen Augenblick, doch man meint, daß es niemals enden wird. Seltsam, nicht wahr?« sagte er gedankenverloren. »Man kann fast zusehen, wie das Licht schwindet - und doch gibt es keinen Zeitpunkt, an dem man sagen könnte. ›Jetzt! Jetzt ist es Nacht!‹« Er deutete auf die Lücke zwischen den Eichen und das Tal, das sich mit Dunkelheit füllte.
»Nein.« Ich streckte mich neben ihm aus. Die warme Feuchtigkeit des Grases drang durch meine Wildlederkleidung, so daß sie sich an meinen Körper schmiegte. Die Luft unter den Bäumen war schwer und kühl wie die Luft in einer Kirche, halbdunkel und voller Erinnerungen an Weihrauchduft.
»Erinnerst du dich an Bruder Anselm in der Abtei?« Ich blickte nach oben; die Farbe wich aus den Eichenblättern über uns und ließ die weichen, silbernen Blattunterseiten so grau wie Mäusefell zurück. »Er hat gesagt, jeder Tag hat eine Stunde, in der die Zeit stillzustehen scheint - aber sie ist für jeden anders. Er hat gemeint, es ist vielleicht die Stunde, in der man geboren wurde.«
Ich wandte den Kopf und sah ihn an.
»Weißt du, wann du geboren bist?« fragte ich. »Die Tageszeit, meine ich?«
Er blickte mich an und lächelte. Dann drehte er sich um, so daß er mir gegenüber lag.
»Aye, das weiß ich. Vielleicht hat er recht gehabt, denn ich bin zur Abendessenszeit geboren worden - am ersten Mai, gerade als das Zwielicht kam.« Er strich ein dahinschwebendes Glühwürmchen zur Seite und grinste mich an.
»Habe ich dir die Geschichte nie erzählt? Wie meine Mutter einen Topf mit Haferbrei zum Kochen auf den Herd gestellt hat, und ihre Wehen dann so schnell gekommen sind, daß sie keine Zeit mehr gehabt hat, daran zu denken, und es ist auch keinem anderen eingefallen, bis sie diesen Brandgeruch bemerkt haben, und das Abendessen war ruiniert und der Topf auch? Es war nichts mehr zum Essen im Haus außer einer Stachelbeertorte. Also haben sie alle davon gegessen, aber die Küchenmagd war neu und die Stachelbeeren unreif und alle - außer meiner Mutter natürlich - haben sich die ganze Nacht mit Darmkrämpfen gewunden.«
Er schüttelte den Kopf und lächelte immer noch. »Mein Vater hat gesagt, es hätte Monate gedauert, bis er mich ansehen konnte, ohne Bauchgrimmen zu bekommen.«
Ich lachte, und er streckte die Hand aus, um mir ein Blatt vom vorigen Jahr aus dem Haar zu zupfen.
»Und um welche Zeit bist du geboren, Sassenach?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich mit dem leichten Stich des Bedauerns, den mir der Gedanke an meine verschwundene Familie immer versetzte. »Es hat nicht in meiner Geburtsurkunde gestanden, und wenn Onkel Lamb es gewußt hat, so hat er es mir nicht gesagt. Aber ich weiß, wann Brianna auf die Welt kam« fügte ich etwas heiterer hinzu. »Sie ist um drei nach drei am Morgen geboren worden. An der Wand des Kreissaals hat eine riesige Uhr gehangen, da habe ich es gelesen.«
Trotz des gedämpften Lichtes konnte ich seine Überraschung deutlich sehen.
»Du bist wach gewesen? Ich dachte, du hast mir gesagt, daß man in deiner Zeit die Frauen betäubt, damit sie keine Schmerzen spüren.«
»Die meisten, ja. Aber ich wollte nicht, daß sie mir etwas geben.« Ich starrte nach oben. Um uns war es dunkel geworden, doch der Himmel war immer noch klar und hell, ein sanftes, leuchtendes Blau.
»Warum zum Teufel nicht?« wollte er ungläubig wissen. »Ich habe noch nie gesehen, wie eine Frau ein Kind bekommt, aber ich habe es schon mehr als einmal gehört , sag’ ich dir. Da komme ich doch wirklich
nicht mit - warum sollte eine Frau, die halbwegs bei Verstand ist, das tun, wenn sie die Wahl hätte?«
»Hm…« Ich hielt inne, denn ich wollte nicht melodramatisch erscheinen. Doch es war die Wahrheit. »Nun«, sagte ich ziemlich trotzig, »ich habe geglaubt, ich würde sterben, und ich wollte nicht im Schlaf sterben.«
Er war nicht schockiert. Er zog nur eine Augenbraue hoch und schnaubte leise vor Belustigung.
»Nicht?«
»Nein. Du?« Ich wandte den Kopf, um ihn anzusehen. Er rieb sich das Nasenbein, immer noch belustigt über die Frage.
»Aye, tja, vielleicht. Ich bin dem Tod am Galgen nahe gewesen und fand das Warten furchtbar. Ich bin mehrere Male fast in der Schlacht umgekommen, aber da habe ich mir
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