Der Ruf Der Trommel
überschreiben, falls alles mißlang und er umkam oder als Verräter verurteilt wurde. Aber das war, bevor du geboren wurdest; bevor er wußte, daß er selbst ein Kind haben würde.«
»Ja, das wußte ich.« Plötzlich erkannte sie, worauf er hinauswollte. Sie legte ihm die Hand auf den Arm, und bei ihrer Berührung schrak er auf.
»Ich bin nicht deswegen gekommen, Onkel Ian«, sagte sie leise. »Lallybroch gehört mir nicht - und ich will es nicht. Ich will nur meinen Vater sehen und meine Mutter.«
Ians Gesicht entspannte sich, und er legte die Hand auf seinem Arm über die ihre. Einen Augenblick lang sagte er nichts; dann drückte er sanft ihre Hand und ließ sie los.
»Aye, gut. Aber du sagst es ihm trotzdem; falls er es möchte…«
»Er möchte es nicht«, unterbrach sie ihn bestimmt.
Ein schwaches Lächeln nistete verborgen in Ians Augen.
»Dafür, daß du ihm noch nie begegnet bist, weißt du ja sehr gut, was er möchte.«
Sie lächelte ihn an, die Frühlingssonne warm auf ihren Schultern.
»Vielleicht tue ich das.«
»Aye, deine Mutter hat dir sicher von ihm erzählt. Und sie hat ihn gekannt, Sassenach oder nicht. Aber sie ist auch immer… etwas Besonderes gewesen, deine Mutter.«
»Ja.« Sie zögerte einen Augenblick, denn sie wollte mehr über Laoghaire hören, war sich aber nicht sicher, wie sie ihre Frage formulieren sollte. Ehe sie sich etwas überlegen konnte, stand er auf, strich seinen Kilt glatt, machte sich auf den Weg und zwang sie damit, aufzustehen und ihm zu folgen.
»Was ist ein Schattenbild, Onkel Ian?« fragte sie seinen Hinterkopf. Mit den Schwierigkeiten des Abstiegs beschäftigt, drehte er sich nicht um, doch sie sah, wie er leicht stolperte, als sein Holzbein in den lockeren Boden einsank. Am Fuß des Hügels wartete er auf seinen Stock gestützt auf sie.
»Du denkst an das, was Laoghaire gesagt hat?« fragte er. Ohne ihr
Nicken abzuwarten, wandte er sich um und humpelte am Fuß des Hügels entlang zu dem kleinen Bach, der durch die Felsen herabgeflossen kam.
»Ein Schattenbild ist, wenn man einen Menschen sieht, obwohl dieser weit weg ist«, sagte er. »Manchmal ist es jemand, der in der Ferne gestorben ist. Es bringt Unglück, ein solches Bild zu sehen, aber noch größeres Unglück, seinem eigenen zu begegnen - wenn das passiert, dann stirbt man.«
Es war die absolute Nüchternheit seines Tonfalls, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
»Ich hoffe, es passiert mir nicht«, sagte sie. »Aber sie hat gesagt, Laoghaire…« Sie stolperte über den Namen.
»L’hiery«, verbesserte Ian. »Aye, stimmt. Es war bei ihrer Hochzeit mit Jamie, als Jenny das Bild deiner Mutter gesehen hat, das ist wahr. Da wußte sie, daß sie kein gutes Paar waren, aber es war zu spät, um es rückgängig zu machen.«
Er kniete sich umständlich auf sein gesundes Knie und spritzte sich Wasser aus dem Bach ins Gesicht. Brianna tat es ihm gleich und trank mehrere Hände voll kaltem, nach Torf schmeckendem Wasser. Da sie kein Handtuch hatte, zog sie sich den Hemdschoß aus dem Hosenbund und wischte sich das Gesicht ab. Sie erhaschte Ians schockierten Blick angesichts ihres nackten Bauches, und ließ abrupt den Hemdschoß fallen, wobei ihre Wangen rot anliefen.
»Du wolltest mir erzählen, warum mein Vater sie geheiratet hat«, sagte sie, um ihre Verlegenheit zu verbergen.
Ians Wangen hatten rote Flecken bekommen, und er wandte sich hastig ab und redete, um seine Verwirrung zu überspielen.
»Aye. Es war so, wie ich gesagt habe - als Jamie aus England kam, war es, als sei sein Lebensfunke verloschen, und es gab hier nichts, womit man ihn hätte wieder anfachen können. Ich weiß nicht genau, was in England geschehen ist, doch irgend etwas Schreckliches hat sich dort zugetragen, so wahr ich lebe.«
Er zuckte mit den Achseln, und seine Wangen nahmen wieder die normale, sonnenverbrannte Bräune an.
»Nach Culloden war er tief verletzt, doch wir hatten hier immer noch unseren eigenen Kampf auszufechten, und das hat ihn am Leben erhalten. Als er aus England zurückkam - da gab es hier nichts mehr für ihn.« Er sprach leise, die Augen zu Boden gerichtet, weil er auf dem felsigen Untergrund darauf achten mußte, wohin er trat.
»Also hat Jenny ihn mit Laoghaire verkuppelt.« Er sah sie mit leuchtenden Augen an.
»Du bist vielleicht alt genug, es zu wissen, auch wenn du noch nicht verheiratet bist. Was eine Frau für einen Mann tun kann - oder er für sie, nehme ich an. Ihn zu heilen,
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