Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
ein Voyeur vor. Und das noch mehr, als Claires feingliedrige, blasse Hand aus dem Bettzeug auftauchte und sein Gesicht mit einer Zärtlichkeit berührte, die ihr das Herz zusammenkrampfte. Claire murmelte etwas, doch Brianna verstand es nicht.
    Sie wandte sich schnell ab, das Gesicht heiß trotz der kühlen Luft, und als er herauskam, stand sie am Rand der Lichtung. Er schloß die Tür hinter sich und wartete das Klank ab, mit dem sie von innen verriegelt wurde. Er trug ein Gewehr, das mit seinem langen Lauf fast so groß zu sein schien wie sie selbst.
    Er sagte nichts, sondern lächelte sie an und wies mit dem Kopf auf den Wald. Sie folgte ihm und hielt problemlos mit, als er einen kaum sichtbaren Pfad einschlug, der durch Fichten- und Kastanienhaine führte. Seine Füße stießen den Tau von den Gräsern und hinterließen eine dunkle Spur in den Büscheln aus schimmerndem Silber.
    Der Pfad bog sich hin und her, lange Zeit fast ebenerdig, doch dann begann er, sich bergauf zu wenden. Sie spürte die Veränderung mehr, als daß sie sie sah. Es war immer noch sehr dunkel, doch plötzlich war die Stille vorbei. Von einem Atemzug zum nächsten begann ein Vogel im nahen Wald zu rufen.
    Dann hallte der ganze Berghang mit Vogelgesängen wider, krächzend, trillernd und surrend. Hinter den Rufen war Bewegung zu spüren, ein Flattern und Kratzen knapp unterhalb der Hörgrenze. Er blieb stehen und lauschte.
    Sie blieb ebenfalls stehen und blickte ihn an. Das Licht hatte so langsam gewechselt, daß sie es kaum gemerkt hatte; einmal an die Dunkelheit gewöhnt, konnte sie beim Licht der Sterne problemlos sehen und erkannte den Übergang zum Tageslicht erst, als sie vom Boden aufblickte und die lebhafte Haarfarbe ihres Vaters sah.
    Er hatte etwas zu essen in seiner Tasche; sie setzten sich auf einen
Baumstamm und teilten sich Äpfel und Brot. Dann trank sie aus einem Rinnsal, das von einem Vorsprung herabsickerte und ihre Hände mit kaltem Kristall füllte. Als sie sich umblickte, konnte sie keine Spur von der kleinen Siedlung mehr sehen; Häuser und Felder waren verschwunden, als hätte der Berg schweigend seine Wälder zusammengezogen und sie verschluckt.
    Sie wischte sich die Hände an den Rockschößen ab und spürte den stacheligen Umriß der Kastanienschale in ihrer Tasche. Es gab keine Roßkastanien auf diesen bewaldeten Hängen; das war ein englischer Baum, den irgendein Auswanderer in der Hoffnung gepflanzt hatte, eine Erinnerung an Zuhause zu schaffen; eine lebende Verbindung mit einem anderen Leben. Sie umschloß sie kurz mit der Hand und fragte sich, ob auch ihre Verbindungen wohl für immer durchtrennt worden waren, dann ließ sie sie los und folgte ihrem Vater hügelaufwärts.
    Zuerst hatte sie Herzklopfen bekommen, und ihre Oberschenkelmuskeln hatten von der ungewohnten Anstrengung des Kletterns geschmerzt, doch dann hatte ihr Körper den Rhythmus des Untergrundes gefunden. Jetzt, wo das Licht kam, hörte sie auf zu stolpern. Als sie auf dem Gipfel eines steilen Hanges herauskamen, schritten ihre Füße so leicht auf den schwammigen Blättern dahin, daß sie glaubte, sie könnte in den Himmel davonschweben, der hier so nah zu sein schien - die Erde hinter sich lassen.
    Einen kurzen Augenblick wünschte sie, sie könnte es. Doch die Bindeglieder der Kette, die sie an die Erde band, hielten weiterhin - ihre Mutter, ihr Vater, Lizzie… und Roger. Die Morgensonne stieg auf, ein riesiger Feuerball über den Bergen. Sie mußte einen Augenblick lang die Augen schließen, um nicht geblendet zu werden.
     
    Hier war es; die Stelle, zu der er sie bringen wollte. Am Fuß eines gewaltigen Steilhanges war ein Teil der Felsen zu losem Geröll zusammengestürzt, das von Moos und Flechten überwachsen war, und kleine Schößlinge ragten wie betrunken aus den Felsspalten. Mit einem Kopfnicken wies er sie an, ihm zu folgen. Ein Weg führte zwischen den riesigen Felsbrocken hindurch, schwer zu erkennen, aber dennoch da. Er spürte, wie sie hinter ihm zögerte, und sah sich um.
    Sie lächelte und wies mit einer Handbewegung auf einen Felsen. Ein riesiger Kalksteinbrocken war herabgestürzt und in zwei Teile gespalten worden; er stand genau zwischen den Teilen.
    »Ist schon gut«, sagte sie leise. »Es hat mich nur daran erinnert.«

    Das erinnerte ihn daran, und die Haare auf seinen Unterarmen sträubten sich. Er mußte stehenbleiben und zusehen, wie sie hindurchtrat, nur um sicherzugehen; er streckte ihr die Hand entgegen, und der

Weitere Kostenlose Bücher