Der Ruf Der Trommel
werd’s dir vorsichtshalber schienen.«
Ich stand auf und ging zu meiner Medizintruhe, um sie nach einer Leinenbandage und einem der langen, flachen Holzsplitter zu durchsuchen, die ich zum Niederdrücken der Zunge benutzte. Ich blickte unauffällig über den aufgeklappten Deckel hinweg und beobachtete ihn. Irgend etwas an ihm war heute abend definitiv seltsam, obwohl ich immer noch nicht mit dem Finger darauf zeigen konnte.
Ich hatte es sofort gespürt, sogar durch meine eigene Aufregung hindurch, und spürte es noch stärker, als ich seine Hand hielt, um sie zu untersuchen; er wurde von einer Art Energie durchströmt, als wäre er aufgeregt oder durcheinandergebracht, obwohl er sich äußerlich nichts anmerken ließ. Er war verdammt gut darin, Dinge geheimzuhalten, wenn er es wollte; was zum Teufel war in Fergus’ Haus wohl vorgefallen?
Brianna sagte etwas zu Jamie, so leise, daß ich es nicht verstehen konnte, dann wandte sie sich ab, ohne eine Antwort abzuwarten, und kam zu mir an die geöffnete Truhe.
»Hast du eine Salbe für seine Hände?« fragte sie. Dann beugte sie sich unter dem Vorwand, in die Truhe zu blicken, zu mir herüber und sagte leise: »Soll ich’s ihm heute abend sagen? Er ist müde und hat Schmerzen. Soll ich ihn nicht lieber schlafen lassen?«
Ich sah Jamie an. Er saß an die Bank gelehnt, beobachtete mit weit geöffneten Augen die Flammen und hatte die Hände flach auf den Oberschenkeln liegen. Doch er war nicht entspannt, der seltsame Strom, der ihn durchlief, spannte ihn an wie einen Telegraphendraht.
»Vielleicht schläft er besser, wenn er’s nicht weiß, aber du nicht«, sagte ich genauso leise. »Sag’s ihm schon. Laß ihn vielleicht nur zuerst essen«, fügte ich eine praktische Überlegung an. Ich glaubte fest daran, daß man schlechten Nachrichten am besten mit vollem Magen gegenübertrat.
Ich schiente Jamies Finger, während sich Brianna neben ihn setzte und ihm Enziansalbe auf die aufgeschürften Knöchel seiner anderen Hand tupfte. Ihr Gesicht war völlig reglos; niemand hätte je erraten, was sich dahinter abspielte.
»Du hast dir das Hemd zerrissen«, sagte ich und befestigte die letzte Bandage mit einem kleinen, ordentlichen Knoten. »Gib es mir nach dem Essen, dann flicke ich es. So, wie ist das?«
»Sehr gut, Madame Lazonga«, sagte er und wackelte vorsichtig mit seinem frisch geschienten Finger. »Ich werde noch völlig verwöhnt, wenn ihr euch so um mich kümmert.«
»Sobald ich anfange, dir dein Essen vorzukauen, kannst du dir Sorgen machen«, sagte ich schroff.
Er lachte und hielt Brianna die geschiente Hand zum Einreiben hin.
Ich ging zum Schrank, um ihm einen Teller zu holen. Als ich mich wieder zur Feuerstelle umdrehte, sah ich, wie er sie intensiv beobachtete. Sie hielt den Kopf gesenkt und hatte den Blick auf die große, schwielige Hand gerichtet, die sie zwischen ihren eigenen Händen hielt. Ich konnte mir vorstellen, wie sie nach den Worten suchte, mit denen sie am besten begann, und es tat mir in der Seele weh. Vielleicht hätte ich es ihm doch selbst unter vier Augen sagen sollen, dachte ich; ihn nicht in ihre Nähe lassen sollen, bis der erste Ansturm seiner Gefühle sicher überstanden war und er sich wieder in der Hand hatte.
»Ciamar a tha thu, mo chridhe?« sagte er plötzlich. Es war sein üblicher Gruß an sie, der Beginn ihrer allabendlichen Gälischlektion, doch heute abend war seine Stimme anders; leise und sehr sanft. Wie geht es dir, mein Herz? Er drehte seine Hand um, legte sie über ihre und umschloß ihre langen Finger.
»Tha mi gle mhath, athair« , antwortete sie und machte ein etwas überraschtes Gesicht. Mir geht es gut, Vater. Normalerweise begann er die Stunde nach dem Abendessen.
Langsam streckte er die andere Hand aus und legte sie sanft auf ihren Bauch.
»An e’n fhirinn a th’agad?« fragte er. Sagst du mir die Wahrheit? Ich schloß meine Augen und atmete aus. Ich hatte gar nicht gemerkt, daß ich die Luft angehalten hatte. Schließlich mußte sie ja nicht mit der ganzen Wahrheit auf einmal herausrücken. Und jetzt kannte ich
auch den Grund für seine angespannte Fremdheit; er wußte es, und egal, wieviel Beherrschung ihm dieses Wissen abverlangte, er würde sich beherrschen und sanft zu ihr sein.
Sie konnte noch nicht genug Gälisch, um zu verstehen, was er gefragt hatte, doch sie wußte genau, was er meinte. Sie sah ihn einen Moment lang erstarrt an, dann hob sie seine gesunde Hand an ihre Wange, beugte sich mit
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