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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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dem das Abenteuer auf beiden Ufern seine lockenden Hände ausstreckte.
    Jamie beendete seine griechische Passage und befahl Ian mit einem Seufzer, den ich von meinem Platz aus deutlich hören konnte, das Lateinbuch hervorzuholen, das er sich aus Gouverneur Tryons Bibliothek ausgeliehen hatte. Da mich jetzt kein Vortrag mehr ablenkte, widmete ich mich wiederum Dr. Rawlings’ Krankenbuch.
    Der Doktor schien wie ich etwas Latein zu verstehen, hatte aber den Großteil seiner Notizen in Englisch niedergeschrieben. Nur bei offiziellen Eintragungen wechselte er ins Lateinische.
     
    Mr. Beddoes einen halben Liter Blut abgenommen. Deutliches Nachlassen der gelben Galle, Verbesserung der gelben Hautfarbe und der Pusteln, die ihn befallen haben. Schwarze Tinktur verabreicht, um die Blutreinigung zu unterstützen.
     
    »Esel«, murmelte ich - nicht zum ersten Mal. »Kannst du nicht sehen, daß der Mann leberkrank ist?« Wahrscheinlich leichte Zirrhose; Rawlings hatte eine geringfügige Vergrößerung und Verhärtung der Leber notiert, was er allerdings der vermehrten Gallenproduktion zuschrieb.
Höchstwahrscheinlich Alkoholvergiftung; die Pusteln im Gesicht und auf der Brust waren typisch für eine Mangelerscheinung, die ich oft in Verbindung mit exzessivem Alkoholgenuß sah - und der war weiß Gott eine Seuche.
    Falls Beddoes noch am Leben war - was ich bezweifelte -, trank er wahrscheinlich täglich bis zu einem Liter Hochprozentiges und hatte seit Monaten kein frisches Gemüse mehr aus der Nähe gesehen. Die Pusteln, zu deren Verschwinden sich Rawlings beglückwünschte, waren wahrscheinlich zurückgegangen, weil er in seinem Spezialrezept für die »schwarze Tinktur« Rübenblätter als Farbstoff benutzte.
    In meine Lektüre vertieft, hörte ich mit halbem Ohr Ians holprige Version von Plautus’ De Virtute von der anderen Seite der Kabine her. Bei jeder zweiten Zeile unterbrach ihn Jamies tiefere Stimme auffordernd oder verbessernd.
    »›Virtus praemium est optimus…‹«
    »›Optimum.‹«
    » ›… est optimum. Virtus omnibus rebus‹ an… äh… an…«
    »›Anteit.‹«
    »Danke, Onkel Jamie. ›Virtus omnibus rebus anteit… profectus‹ ?«
    »›Profecto.‹«
    »Oh, aye, profecto . Hm… ›Virtus‹ ?«
    » Libertas. ›Libertas salus vita res et parentes, patria et prognati…‹ weißt du noch, was vita bedeutet, Ian?«
    »Leben«, tönte Ian. Dankbar klammerte er sich an diesen Strohhalm.
    »Aye, das ist richtig, aber es ist mehr als Leben. Im Lateinischen bedeutet es nicht nur, am Leben zu sein, sondern es ist die Substanz eines Menschen, sein Kern. Denn es geht weiter mit ›libertas salus vita res et parentes, patria et prognati tutantur, servantur; virtus omnia in sese habet, omnia adsunt bona quem praeest virtus.‹ Also, was meinst du, was das heißt?«
    »Äh… Tugend ist eine gute Sache?« sagte Ian versuchsweise.
    Es folgte ein Moment der Stille, in dessen Verlauf ich beinahe hören konnte, wie Jamies Blutdruck stieg. Dann ein langes, zischendes Einatmen, während er sich noch einmal überlegte, was er zu sagen im Begriff war, dann ein leidgeprüftes Ausatmen.
    »Mmpf. Schau mal, Ian. ›Tutantur, servantur.‹ Was meint er wohl, wenn er diese beiden Wörter nebeneinanderstellt, anstatt…« Ich wandte mich wieder dem Buch zu, in dem Dr. Rawlings gerade von einem Duell und seinen Folgen berichtete.

     
    15. Mai. Wurde im Morgengrauen aus dem Bett geholt, um nach einem Herrn zu sehen, der im Red Dog Quartier bezogen hatte. Fand ihn in traurigem Zustand vor: eine Handverletzung, verursacht durch die Fehlzündung einer Pistole. Daumen und Zeigefinger waren von der Explosion ganz weggerissen, der Mittelfinger schlimm zugerichtet und zwei Drittel der Hand so zerfetzt, daß man sie kaum noch als menschliches Glied erkennen konnte.
    Ich entschied, daß nur sofortige Amputation helfen konnte, ließ den Wirt rufen und erbat einen Becher Brandy, Leinen zum Verbinden und die Hilfe zweier starker Männer. Nachdem dies gebracht und der Patient ausreichend gesichert war, ging ich daran, die Hand - zum Unglück des Patienten war es die rechte - genau über dem Handgelenk abzunehmen. Durchtrennte erfolgreich zwei Arterien, doch die interossea anterior entkam mir und zog sich in den Muskel zurück, nachdem ich die Knochen durchsägt hatte. Mußte das Tourniquet lösen, um sie zu finden, daher war der Blutverlust beträchtlich - ein glücklicher Zufall, denn durch den reichlichen Blutfluß verlor der Patient

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