Der Ruf Der Trommel
er antwortete.
»Habe ich nicht gesagt, daß du Verstand hast?« erwiderte er trokken. »Also, wenn du es wissen willst… man hat mich zu zweierlei Dingen erzogen, Ian. Mich um mein Land und meine Leute zu kümmern und für meine Familie zu sorgen. Beides habe ich getan, so gut ich konnte - und ich werde es weiter tun, so gut ich kann.«
Ian hatte den Anstand, verlegen dreinzusehen.
»Aye, gut, ich wollte nicht…«, murmelte er und blickte zu Boden.
»Keine Sorge, Junge«, unterbrach Jamie und klopfte ihm auf die Schulter. Er grinste seinen Neffen ironisch an. »Um deiner Mutter willen wirst du es schon noch zu etwas bringen - und wenn es uns beide umbringt. Und jetzt bin ich, glaube ich, mit dem Staken dran.«
Er blickte zum Bug, wo Eutroclus’ muskulöse Schultern wie geöltes Kupfer glänzten. Jamie öffnete seine Kniehosen - im Unterschied zu den anderen Männern legte er zum Staken nie das Hemd ab, sondern zog sich nur zur Kühlung die Hose aus und knotete sich zum Arbeiten das Hemd nach Highlandart zwischen den Oberschenkeln zusammen - und nickte Ian zu.
»Denk darüber nach, Junge. Auch wenn du der jüngste Sohn bist, dein Leben ist nicht dazu da, daß du es vergeudest.«
Dann strahlte er mich plötzlich mit einem atemberaubenden Lächeln an und überreichte mir seine Hose. Er richtete sich auf, eine Hand noch in meiner, die andere auf dem Herzen, und deklamierte:
»Amo, amas, ich lieb’ mein’ Schatz,
eine Zeder rank und schlank,
Grazil wie eine Dotterblum’
so ist ihr Nominativ,
Und ihr Geschlecht das Femininum.«
Er nickte Ian, der sich vor Lachen bog, huldvoll zu und hob meine Hand an die Lippen, die blauen Augen voller Schabernack.
»Wie kann ich dieser Nymph’ widerstehn?
Ihre Stimme ist so dulcis
ihr Oculus hell, ihr Manus weiß,
und sanft, wenn ich tacto, ihr Puls ist.
Oh, so bella, mein’ puella
Ich küß in saecula saeculorum
Hab’ ich Glück, wird sie meine uxor,
o dies benedictorum.«
Er machte einen Hofknicks vor mir, kniff, so gut er konnte, ein Auge zu und schritt im Hemd davon.
9
Der Zweidrittelgeist
Der Fluß glänzte wie Öl, und das Wasser strömte sanft und völlig glatt an uns vorbei. Eine einzelne Laterne hing steuerbord am Bug. Ich hatte mich auf dem Vordeck auf einen Schemel gesetzt und konnte von dort aus sehen, wie sich das Licht unten Seite an Seite mit dem Schiff bewegte, weniger vom Wasser reflektiert als darunter gefangen.
Der Mond war eine dünne Sichel und zog müde seine Bahn über die Baumspitzen. Jenseits der dichten Bäume am Ufer senkte sich der Boden in breiten, dunklen Streifen zu den Reisplantagen und Tabakfeldern hin. Die Erde hatte die Tageshitze aufgesaugt, und nun glühte sie mit unsichtbarer Energie im Erdreich. Hinter den Kiefern und Gummibäumen schimmerten die reichen, fruchtbaren Ebenen in schwarzer Hitze und vollzogen ihre Alchemie aus Wasser und gespeicherter Sonne.
Schon die kleinste Bewegung hatte zur Folge, daß einem der Schweiß ausbrach. Ich konnte die Luft anfassen, spürte jede kleine Wärmewelle als Liebkosung auf Gesicht und Händen.
Es raschelte leise hinter mir in der Dunkelheit, und ich griff nach oben, ohne mich umzudrehen. Jamies große Hand schloß sich sanft um die meine, drückte sie und ließ sie los. Selbst von dieser kurzen Berührung wurden meine Finger schweißnaß.
Seufzend ließ er sich neben mir nieder und zupfte an seinem Hemdkragen.
»Ich glaube nicht, daß ich ein einziges Mal Luft eingeatmet habe, seit wir Georgia verlassen haben«, sagte er. »Jedesmal, wenn ich Atem hole, glaube ich, ich ertrinke.«
Ich lachte und spürte, wie mir ein Rinnsal aus Schweiß zwischen den Brüsten heruntersickerte.
»In Cross Creek ist es kühler; das sagen alle.« Ich holte tief Luft, nur um zu beweisen, daß ich es konnte. »Aber riecht es nicht wunderbar?« Die Dunkelheit gab die durchdringenden Gerüche der Bäume und Pflanzen am Wasserrand frei, die sich mit dem feuchten
Uferschlamm und dem sonnenwarmen Holz des Schiffsdecks vermischten.
»Du hättest einen guten Hund abgegeben, Sassenach.« Er lehnte sich mit einem Seufzer an die Kabinenwand. »Kein Wunder, daß das Vieh dich so bewundert.«
Zehennägel klickten auf den Planken und verkündeten Rollos Ankunft. Vorsichtig näherte er sich der Reling, blieb mißtrauisch einen halben Meter davor stehen und ließ sich umständlich auf Deck nieder. Er legte die Nase auf seine Pfoten und seufzte tief. Rollos Abneigung gegen Schiffe war fast genausogroß wie
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