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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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strich sie ihm zärtlich eine Locke aus der Stirn und küsste seine blutigen, erstarrten Lippen.
    Hagen schloss sein Auge. Gib mir die Kraft, das hier durchzustehen , flehte er Wodan an. Er hatte geglaubt, das Ausmaß seiner Hoffnungslosigkeit sei nicht mehr zu steigern, aber das war ein Irrtum. Mit Sigfrid hatte er ein Stück von sich selbst getötet. Und niemals, nicht in einer Million Jahre, würde er vergessen, wie sie ihn fanden, inmitten einer blutroten Lache, lächelnd. Was hatte Sigfrid gesehen, ehe er starb, dass die Umarmung des Todes ihn so wenig schreckte?
    Grimhild streichelte die Wangen des Toten, fuhr ihm durchs Haar und hörte nicht auf, ihn zu küssen, als könne sie ihm dadurch Leben einhauchen. Hagen ertrug es nicht länger. Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie von dem Leichnam fort.
    Inzwischen waren Neugierige aus der ganzen Burg zusammengekommen, darunter Gislher, der nicht mit auf der Jagd gewesen war. Und Brünhild. Die Königin ignorierte die Menschen, als sie zu dem Leichnam trat und ihn betrachtete, als wolle sie sich jeden seiner Züge einprägen. Unvermittelt fing sie an zu lachen und wollte gar nicht wieder aufhören. Die Krieger sahen sie erschrocken an, doch ein Blick in ihre Augen belehrte sie, dass die Königin sich am Rande einer Hysterie befand. Ebenso abrupt, wie es begonnen hatte, verstummte das Lachen wieder. Wortlos wandte sich Brünhild ab und ging in die Burg zurück.
    »Es   … war ein Jagdunfall«, sagte Gunter lahm.
    Grimhild befreite sich aus Hagens Griff, sah ihren Bruder kalt an und brachte ihn damit zum Verstummen. Sie drehte Sigfrid auf die Seite, und ihre Vermutung bestätigte sich. Das faustgroße Loch zwischen seinen Schulterblättern war kaum zu übersehen.
    Die Krieger starrten auf die Wunde, als entdeckten sie sie zum ersten Mal. Sie wussten nicht, was sie denken sollten. Sigfrid war an seiner verwundbaren Stelle von einem Speer durchbohrt worden, und nur einer war in seiner Nähe gewesen. Aber Hagen hatte keine Waffen bei sich getragen, als er mit dem Sachsen um die Wette lief. Immerhin, er war zur Hälfte ein Schwarzalbe, nicht wahr? Wer vermochte schon zu sagen, welch dunkle Kräfte er zu Hilfe rufen konnte?
    Die Blicke der Krieger waren Hagen gleichgültig. Es spielte keine Rolle, ob sie glaubten, er habe den Sachsen umgebracht oder nicht. Das einzige Urteil, das zählte, war das von Grimhild. Niemand würde je ermessen können, wie groß das Opfer war, das er Gunter gebracht hatte.
    Die Niflunge musterte die Krieger, einen nach dem anderen. Ihr Blick blieb an Hagen hängen. »Du hast ihn getötet. Niemand außer dir wäre zu so etwas fähig.«
    »Du hast meinen König gehört. Ich werde ihn nicht einen Lügner heißen.« Hagen drehte sich um und ging. Er konnte ihre Augen nicht länger ertragen.
    »Du hast keine Ehre!«, rief Grimhild ihm nach. »Geh nur, Hagen! Geh davon! Aber mein Fluch wird dir folgen! Ob du zu Fuß übers Feld gehst oder Segel hisst auf See, ein immerwährender Sturm soll um dich heulen, wo du auch bist! Kein Dach soll dir Schutz gewähren, kein Wesen, ob Mann oder Frau, die Nahrung mit dir teilen! Alles, was dein Atem berührt, soll welken! Friedlos sollst du sein, ohne Sippe, ohne Freude, verachtet und gemieden, bis du den Tod herbeisehnst!«
    Obwohl Hagen in seinem Schritt nicht innehielt, traf ihn jeder Satz. Und am meisten traf ihn die Erkenntnis, dass ihre Flüche eine gute Beschreibung seines Lebens darstellten. Er war ein Neiding, der den Keim des Todes in sich trug.
    Gislher kam ihm nach. »Hagen, warte!«
    »Nicht jetzt.«
    »Ich sagte: Warte!«
    Mit einem harten Griff wurde der Waffenmeister herumgerissen, einem Griff, der keinen Widerspruch duldete, dem Griff eines Mannes. Hagen wünschte, Gislher hätte auf sanftere Art erwachsen werden können.
    »Es ist nicht wahr, oder? Du hast Sigfrid nicht getötet.«
    Hagen schwieg. Ihr Götter, musste er den Schmerz so schnell in ein weiteres Herz tragen?
    »Antworte mir! Sag mir, dass du es nicht warst, und ich werde dir glauben, was immer sonst jemand von dir denken mag.«
    Einen Herzschlag ließ Hagen verstreichen, ehe er reagierte. Einen letzten Herzschlag lang kostete er das Vertrauen aus, das Gislher ihm entgegenbrachte, denn es würde das letzte Mal in seinem Leben sein. »Ich habe ihn getötet«, sagte er ruhig. »Auf die einzige Art, wie er getötet werden konnte: von hinten, während er ahnungslos war.«
    »Warum?«, fragte Gislher verstört.
    Ein Schauder überlief

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