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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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Hagen. Genauso hatte Sigfrid ihn angesehen. »Ich hatte meine Gründe.« Er befreite sich aus Gislhers Griff. »Und jetzt lass mich gehen.«
    Fassungslos sah Gislher dem Waffenmeister nach. Woran konnte man auf dieser Welt noch glauben, wenn selbst die, zu denen man aufsah, zu solcher Niedertracht fähig waren? Waren denn alle Ideale nur Schall und Rauch? Galten Ehre und Gewissen gar nichts mehr? »Ich hasse dich, Hagen!«, rief er ihm hinterher. Und dann, mit überschnappender Stimme: »Ich wünschte, ich hätte dich nie kennengelernt. Lieber würde ich sterben, als noch einmal etwas aus deiner Hand anzunehmen!«
2
    Die Krieger hatten den Leichnam in der wiederhergestellten Großen Halle aufgebahrt und Grimhild dort allein gelassen. Einmal waren zwei Unfreie hereingekommen, die sie mit Schaum vor dem Mund hinausgeworfen hatte. Seitdem ließ man sie in Ruhe. Reglos stand sie vor dem Mann, der ihr alle Freude im Leben bedeutete, und fühlte sich leer, wie jemand ohne Sippe: schon tot, obwohl sie sich noch bewegte.
    Gislher platzte herein und störte ihr stummes Zwiegespräch. »Grimhild«, flehte er, »was immer vorgefallen sein mag, ich habe von alldem nichts gewusst.«
    Sie sah ihn nicht einmal an. Etwas in ihr war zerbrochen, gründlicher und endgültiger, als es je auf andere Weise möglich gewesen wäre. »Geh!«, sagte sie. »Lass mich allein mit ihm!«
    »Bitte, du musst mir glauben! Wodan ist mein Zeuge, ich habe an Sigfrids Tod keinen Anteil! Er war für mich wie ein Bruder.« Tränen flossen seine Wangen hinab.
    »Glauben? Ich habe zu lange geglaubt. Ich habe geglaubt, die Sippe sei ein Ort des Schutzes. Ein Ort des Friedens. Niemals wieder werde ich so dumm sein, jemandem zu vertrauen.«
    Gislher wartete auf ein weiteres Wort, eine Geste, einen Blick, irgendetwas, das ihm sagte, dass das Band zwischen ihm und seiner Schwester nicht zerrissen war. Doch es kam nichts, und so schleppte er sich schließlich hinaus.
    Grimhild beachtete es nicht. Ihre Hände gingen daran, Sigfrid für seine lange Reise vorzubereiten. Zuerst zog sie ihm die verdreckte Kleidung aus und wusch ihn, brachte jede Pore seines Leibes mit Wasser, dem Element des Lebens, in Berührung. Dann kleidete sie ihn in seine kostbarsten Gewänder und gab ihm festes Schuhwerk für den weiten Weg ins Jenseits. Aber sie wollte doch gar nicht, dass er ging! Mit jäher Gewalt warf sich Grimhild über seinen erkalteten Körper und schluchzte. Sie war es, die ihn getötet hatte! Sie hatte den Traum ausgesprochen und damit zu einer Prophezeiung gemacht, nur so war das verhängnisvolle Schicksal möglich geworden! »Verzeih!«, bat sie, küsste und streichelte ihn und benetzte ihn mit ihren Tränen. »Verzeih!«
    Übergangslos richtete sie sich auf. Ihre Pupillen waren geweitet, auf einen imaginären Punkt gerichtet. Ihre Tränen gefroren auf dem maskenhaften Gesicht. Wie im Traum setzten ihre Hände die Totenbräuche fort.
    Als sie eben Wasser zur rituellen Reinigung unter die Bahre goss, betrat Gunter die Große Halle. »Rühr ihn nicht an!«, schäumte sie und stellte sich schützend zwischen ihn und den Toten. »Keiner von euch darf ihn anrühren!«
    »Du musst die Bediensteten hereinlassen, damit sie Vorbereitungen für die Totenwache treffen können«, sagte er sanft.
    »Niemand außer mir wird bei ihm wachen.«
    »Es ziemt sich, dass wir ihn mit einem großen Fest verabschieden.«
    »Er hat in dieser Burg nur Feinde, sie sollen nicht auch noch seinen Leichnam verhöhnen.« Sie trat dicht an ihren Bruder heran. »Hagen hätte es niemals ohne dein Wissen getan«, sagte sie mit erschreckender Ruhe. »Sigfrid war ehrenhaft und ohne Falsch. Er hat dir beigestanden, als du in Not warst. Übel hast du dem, der dir nur Gutes erwies, seine Treue vergolten!«
    Ihre Stimme schien von weit her zu kommen, und auch der Rest von ihr war nicht wirklich in diesem Raum. Ihre Hände bewegten sich, als gehörten sie nicht länger zu ihr. Nicht einmal ihre Augen gehörten ihr noch. Gunter hätte alles dafür gegeben, das Leid seiner Schwester zu mildern. »Kann ich etwas tun, dir zu helfen?«
    »Ja!«, erwiderte sie. »Geh!«
    Er forschte in ihrem Gesicht nach einem Hinweis, wie schlimm es um sie stand. »Du weinst nicht einmal«, sagte er überrascht.
    Mit einer fahrigen Bewegung streichelte sie Sigfrids Wangen. »Weinen ist eine leere Geste. Ich werde nicht weinen. Ich werde mich erinnern.«
3
    Leise öffnete sich die Tür.
    Brünhild lauschte und schlüpfte dann, als

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