Der Ruf Der Walkueren
rannte er in Büsche und Sträucher hinein und taumelte benommen. Der Schwanz des Lindwurms holte zu einem Schlag aus. Sigfrid konnte hören, wie das Rückgrat des Hengstes brach.
All das war so schnell geschehen, dass der Junge kaum Zeit gehabt hatte zu reagieren. Jetzt endlich, während der Drache das bedauernswerte Pferd in Stücke riss und auffraß, kam er zur Besinnung. Der Ring an seinem Arm erwachte zum Leben. Flieh! Solange der Drachenwurm beschäftigt war, konnte er es schaffen. Nein! Er war kein Feigling. War er nicht ausgezogen, um Heldentaten zu begehen? Dies war eine Gelegenheit dazu. Sigfrid holte sein Amulett hervor, drückte die Wodansrune gegen seine Stirn und bat den Asen um Beistand.
Als er Mimung aus der Scheide zog, wich die Panik. Nach wie vor schlug ihm das Herz bis zum Hals, aber das Singen der Klinge beruhigte seinen Atem. Das Schwert sehnte sich nach Blut, und er würde es ihm geben. Vorsichtig umrundete er den Lindwurm. Wie sollte er vorgehen? Wo musste er zustoßen? Er brauchte einen Plan! Irgendeine Idee, schnell! Die Kiefer der Riesenechse knackten die Knochen des toten Pferdes wie Nüsse und machte jeden klaren Gedanken unmöglich.
Jetzt befand er sich in unmittelbarer Nähe des Drachen. Der faulige Geruch aus dessen Maul raubte ihm den Atem. Mit dem Mut der Verzweiflung sprang Sigfrid vor und stach nach dem Rücken der Bestie. Der Aufprall riss ihm fast das Schwert aus der Hand. Hastig sprang er beiseite, doch der dracō hatte von alledem nicht einmal etwas bemerkt. Sein Panzer zeigte nicht den kleinsten Riss, keine Klinge vermochte ihn zu durchdringen. Ein schwächeres Schwert als Mimung wäre womöglich zerbrochen.
Ruhig Blut! Es gab eine Möglichkeit, das Untier zu töten, nur eine: Er musste an die weiche Stelle seines Bauches heran. In Reichweite seiner Pranken und seines Feuer speienden Maules. Nein! , schrie der Ring. Er wird dich in Stücke reißen! In diesem Augenblick hätte Sigfrid beinahe aufgegeben. Was ihn daran hinderte, war, dass der Drache seine schaurige Mahlzeit beendete, den Kopf wandte und ihn mit einem tückischen Auge anblickte. Er hatte keine Wahl mehr.
Ein Feuerstoß schoss aus dem Rachen des Lindwurms. Sigfrid riss seinen Schild hoch. Funken stoben nach allen Seiten und versengten seine Haut. Der Lederbezug des Schildes brannte, der eiserne Schildbuckel begann zu schmelzen. Als der Feuerstoß verebbte, warf Sigfrid den nutzlos gewordenen Schild fort und stand somit ohne Schutz da. Bedrohlich langsam kroch das Raubtier auf ihn zu. Seine Augen funkelten rot wie die Rubine im Albenhort. Dann, von einem Augenblick zum anderen, schnellte die Echse nach vorn. Sigfrid sah sich urplötzlich dolchartigen Zähnen von der Länge einer Hand gegenüber. Er vertraute sich seinen Instinkten an und sprang an den Pranken des Drachen vorbei. Der Flankendorn des Untiers riss ihm den Arm blutig, aber er ließ Mimung nicht los. Wütend peitschte der Lindwurm mit seinem Schwanz, und Sigfrid konnte sich nur durch einen weiteren Sprung in Sicherheit bringen, sonst wäre er zerschmettert worden.
Jetzt lag er dort, wo er hingewollt hatte – zwischen den säulenartigen Beinen der Bestie. Jeden Augenblick konnte er zu Brei zertreten werden. Schwerfällig drehte sich der dracō um die eigene Achse und suchte die verschwundene Beute. Sigfrid sprang auf. Mimung! dachte er und rief die Seele der Klinge, das megin von Feuer und Erde wach. Das Schwert vibrierte so stark in seiner Hand, dass er es kaum ruhig halten konnte, es barst förmlich vor Blutekstase. Mit aller Kraft stieß er es dem Drachen in den Bauch und trieb es bis zum Heft hinein. Wie Butter drang es durch die Haut und fraß sich gierig durch das Fleisch bis in das Herz des Ungetüms. Blut spritzte auf Sigfrids Hände und über sein Gesicht. Mit einem Brüllen richtete der dracō sich auf. Sigfrid sprang unter ihm hervor, um sich in Sicherheit zu bringen. Einen Wimpernschlag später brach die gepanzerte Echse zusammen, wälzte sich tobend und Blut und Feuer spuckend auf der Erde und fegte in Todeszuckungen Erdbrocken und Baumstämme gleichermaßen zur Seite, ehe sie starb.
Auf der verwüsteten Lichtung war es still. Keuchend näherte sich Sigfrid dem Lindwurm, dessen Blut in Strömen aus seiner Wunde rann und in die Grube floss, die sein Körper im Todeskampf aufgescharrt hatte. Sigfrid schluckte. Er hatte wirklich und wahrhaftig einen Drachen getötet! Noch immer zitternd stieß er einen Siegesschrei aus.
Selbst tot
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